Sie bauen luxuriöse Limousinen und tonnenschwere SUVs – doch Autokonzerne wie Daimler, Porsche oder VW haben längst auch Fahrräder im Angebot. Ist das nicht ein Widerspruch?

Digital Desk: Jonas Schöll (jo)

Stuttgart - Klischees über Autofahrer sind weit verbreitet: So heißt es über Daimler-Fahrer, sie seien spießig, arrogant, unsportlich und garantiert nicht umweltbewusst. Dieses Schubladendenken kann Autofirmen nicht egal sein, denn für sie ist das Image wichtig – erst recht in einer Zeit, in der Mobilität nachhaltiger werden soll.

 

Daher bauen Konzerne wie Daimler, Porsche oder VW schon lange nicht mehr nur Autos. Vom Rollkoffer über das Plüschtier bis zur Sonnenbrille bieten sie ihren Kunden in den eigenen Online-Shops unzählige Produkte an, die alle eine Sache eint: Sie tragen das Firmenlogo. Dabei darf ein Produkt auf keinen Fall fehlen: Ein stylishes Fahrrad.

Doch Autohersteller, die Fahrräder verkaufen – ist das nicht paradox? Ja, findet David Koßmann vom Fachportal „Pressedienst Fahrrad“. Dass sich die Autoriesen – in Verruf geraten durch Dieselskandal und Fahrverbote – damit als „Mobilitätsanbieter“ preisen, bewertet der Fahrradexperte als ein „verzweifeltes Rückzugsgefecht“.

Für die Branche sei das eine Form der Imageförderung. „Das kann erst ernst zu nehmend sein und wirtschaftliches Standbein werden, wenn das goldene Kalb nicht mehr zwölf Quadratmeter Verkehrsfläche pro Person braucht und irrsinnige 1,5 Tonnen wiegt.“ Bei den Autoriesen nimmt das Fahrradgeschäft eine Nische ein, als Accessoire oder zur Abrundung der Luxus-Zubehörpalette.

Die Fahrräder der Autohersteller

Mit dem Fahrradgeschäft betreten die Autokonzerne einen Markt, der sich im Aufwind befindet. Rund drei Milliarden Euro setzte der deutsche Handel im vergangenen Jahr mit Fahrrädern und E-Bikes um. Laut Zweirad-Industrieverband (ZIV) ist das ein Plus von rund 16,3 Prozent. Dazu kommen weitere rund drei Milliarden Euro mit Zubehör und Ersatzteilen. Der Absatz an Fahrrädern und E-Bikes lag 2018 den Angaben zufolge mit 4,18 Millionen Einheiten 8,6 Prozent über dem Vorjahr.

Doch als wirtschaftliches Standbein sehen Porsche, VW und Co. das neue Geschäftsfeld nicht. Räder der Autoindustrie spielten eine verschwindend geringe Rolle, meint Koßmann. Allerdings sei eine deutliche Entwicklung zu verzeichnen, dass Auto-Zulieferer über das Thema E-Bike mehr und mehr in der Fahrradbranche Fuß fassten. So sei Bosch mit Abstand der Marktführer bei Mittelmotoren für E-Bikes und auch der Berliner E-Antriebe-Spezialist Brose sei auf dem Weg, einen Platz auf dem Treppchen einzunehmen.

Die noblen Autobauer setzen auf schnittige High-Tech-Bikes zu Gebrauchtwagenpreisen. Anders als bei tonnenschweren Limousinen oder dicken Luxus-SUVs setzt zum Beispiel der Mercedes unter den Fahrrädern auf Understatement. Nur an zwei Details verrät der schlichte Silberpfeil, aus welchem Hause er kommt: Ein unscheinbarer Schriftzug am Rahmen und ein Stern auf einer Plakette. Das „Style Bike“ ist für etwa 6000 Euro erhältlich. Für die Entwicklung des Rades kooperiert der Stuttgarter Autobauer mit der kanadischen Fahrradschmiede Argon18.

Radpreise liegen zwischen 359 und 20.000 Euro

Auch Porsche schmückt sich gerne mit den zweirädrigen Accessoires. Aktuell hat der Stuttgarter Sportwagenhersteller ein limitiertes Sondermodell, das eBike X+, im Angebot. Für 9.911 Euro gibt es den Porsche auf zwei Rädern.

Das Elektro-Mountainbike, das seit Anfang des Jahres auf dem Markt ist, entwickelten die Stuttgarter gemeinsam mit der Marke Rotwild. „Als wirtschaftliches Standbein werden eBikes bei Porsche allenfalls eine untergeordnete Rolle einnehmen“, sagt Jan Becker, Geschäftsführer der Porsche Design Group. Die Räder dienten vielmehr als eine Brücke zur Marke: „Sie bieten neuen Kunden die Möglichkeit, über dieses Produkt erste Berührungspunkte mit Porsche zu finden.“

Dass es bei den Fahrrädern der Autohersteller auch günstiger geht, beweist Volkswagen. Die Preisspanne bei den VW-Rädern liegt zwischen 359 Euro und 669 Euro. Im Sortiment des Wolfsburger Autobauers stehen Trekking-Räder, ein Retro-Fahrrad, City-Bikes, Mountainbikes und sogar ein Singlespeed-Fahrrad zur Auswahl. In Deutschland sind aktuell allerdings nur das GTI Mountainbike und das GTI Junior Mountainbike erhältlich.

Deutlich hochpreisiger positioniert sich Luxus-Hersteller Lamborghini, der den Puls seiner Kunden nicht nur durch Gasgeben auf der Autobahn in die Höhe treiben will, sondern auch mit Pedalkraft auf einem Zweirad. Das vor etwa einem Jahr vorgestellte Triathlon Bike Cervélo P5X wurde laut Sprecher Gerald Kahlke in 25 Einheiten zum Preis von 20.000 Euro angeboten und war schnell ausverkauft. „Der Gedanke beim Fahrradgeschäft besteht in der Markenerweiterung, die natürlich zum Image der Marke Lamborghini passen soll“, sagt Kahlke.

Fahrradindustrie war Wegbereiter des Autos

So paradox es klingen mag, dass Autohersteller Fahrräder produzieren – ganz neu ist die Idee nicht. Die junge Fahrradindustrie war einst die Wegbereiterin der Autobranche. Mehrere Fahrzeughersteller gingen aus Fahrradfabriken hervor, darunter Opel, Peugeot und Rover. Carl Benz baute seinen Patent-Motorwagen 1883 auf Basis eines dreirädrigen Velozipeds - Dreiräder mit Kettenantrieb waren im späten 19. Jahrhundert ein verbreitetes Fahrzeug für Erwachsene.

Ausländische Autofirmen setzen schon seit Jahrzehnten auf Fahrräder, beispielsweise Peugeot seit 1886. Auch bei Mercedes beruft man sich auf Tradition: Bereits in den Zwanzigern stellte der Auto-Erfinder in Berlin auch Fahrräder her. Sie kosteten zwischen 77 und 110 Reichsmark. Beleuchtung kostete extra.