Ein EU-Gericht rügt zu Recht den kreativen Umgang mit Stickoxid-Grenzwerten. Auf Basis des Urteils könnten Städte möglicherweise auch ältere Euro-6-Diesel aussperren, meint Werner Ludwig.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 6 dürfen pro Kilometer höchstens 80 Milligramm Stickstoffdioxid (NO2) ausstoßen – zumindest in der Theorie. Tatsächlich liegt der Grenzwert bei 168 Milligramm – also um den Faktor 2,1 höher. Diesen sogenannten Konformitätsfaktor haben die Lobbyisten der Autoindustrie in Brüssel durchgesetzt. Hintergrund ist die Einführung realitätsnäherer Verbrauchs- und Abgasmessungen, gegen die sich die Autobauer lange Zeit gewehrt hatten. Dumm nur, dass in den neuen Prüfzyklen auch deutlich mehr Stickoxide aus dem Auspuff kommen. Um den geltenden 80-Milligramm-Grenzwert dennoch formal einhalten zu können, war also ein bisschen Kreativität gefragt – und die EU-Kommission spielte mit. Der dazu eingeführte Konformitätsfaktor, der sich in den nächsten Jahren schrittweise verringert, wurde nun zu Recht vom Gericht der Europäischen Union für unzulässig befunden. Er ist ohnehin unnötig, weil zahlreiche neue Diesel auch auf der Straße weniger als 80 Milligramm NO2 ausstoßen.

 

Es geht um die Dehnung von Vorschriften, um diese zu erfüllen

Auf Basis des aktuellen Urteils könnten Städte nach einer Übergangszeit möglicherweise auch ältere Euro-6-Diesel aussperren. Ob es so weit kommen wird, ist allerdings offen, denn die EU-Kommission kann in Berufung gehen. Auch wenn die praktischen Konsequenzen des Urteils noch nicht klar sind, wirft der Fall erneut ein Licht auf den Hang der Autobauer, ihre Produkte mit zweifelhaften Tricks sauberzurechnen. Es handelt sich hier nicht um Betrug wie bei den illegalen Abschaltvorrichtungen, die nur auf dem Prüfstand gute Abgaswerte lieferten. Es geht vielmehr um die Dehnung von Vorschriften, um diese irgendwie doch noch zu erfüllen.

Ganz ähnlich lief es bei den CO2-Grenzwerten für Pkw, mit denen die EU den Klimawandel bremsen will. Bis 2020 dürfen Neuwagen im Flottendurchschnitt 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Weil viele große und schwere Modelle deutscher Premiumhersteller darüber liegen, war auch hier kreative Buchführung gefragt. Das Ergebnis waren die sogenannten Supercredits – also die Möglichkeit, besonders klimafreundliche Modelle aus dem eigenen Sortiment mehrfach anzurechnen. Die Politik sollte bei solchen Tricks nicht mehr mitspielen.