Einige Händler und Initiativen sind mit den Standards im Bereich Bio und fairer Gastronomie nicht zufrieden und schaffen ihre eigenen. Poís, Plattsalat und „Oben drauf“: drei Beispiele aus Stuttgart.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Betriebswirtschaftlich gesehen ist Matthias Kästners Projekt völlig unsinnig. Für „Poís“ existiert kein Businessplan, sein Unternehmen ist kein Start-Up und Gewinne macht er auch nicht. Was ihn antreibt bei seiner Geschäftsidee? Poís ist für ihn ein Lebenstraum. Wenn er davon erzählt, hat der 47-Jährige manchmal sogar Tränen in den Augen. „Das schenkt mir so viel Kraft“, sagt er. Er habe 28 Jahre lang überlegt, wie er in seinem Lieblingsland Portugal die Menschen unterstützen könne. Fünf Kisten Orangen von einem portugiesischen Bauer brachten ihn auf die Idee. Er nahm die Kisten mit nach Deutschland und verteilte sie im Bekanntenkreis: „Die wollten alle mehr.“

 

Die meisten Bauern konnten von ihren Einnahmen kaum leben. Daran wollte der Stuttgarter etwas ändern. Anfangs hat er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis Bestellungen aufgenommen. Wenn er in Portugal war, nahm er die georderte Menge an Obst mit und lieferte sie in Deutschland persönlich aus. Die Preise in Portugal legte er nach einem simplen Prinzip fest: „Ich habe die Bauern gefragt, wovon sie gut leben können.“ Das sei laut Kästner teilweise der fünffache Marktpreis.

Vom Konzertveranstalter zum fairen Obsthändler

Bio-Zertifizierung, nachhaltiger Obstanbau und Vertrieb – das waren Dinge, mit denen sich der Konzertveranstalter davor nicht beschäftigt hatte. „Ich arbeite mich da jetzt seit 23 Monaten intensiv rein“, so der Unternehmer. In Portugal habe er zuverlässige Helfer, Sergio und Gustavo. Der Erzeuger und der Kistenbauer koordinieren die Arbeit vor Ort. Bei ihnen kommt die Ware der Bauern an, auf direktem Weg gelangen die Früchte nach Deutschland. Es gebe keine Subunternehmer, die dazwischen die Hand aufhalten. „Nur so können wir den Bauern die hohen Preise bezahlen“, sagt Kästner. Damit sei man nicht dem Diktat der Großmärkte ausgeliefert. Und Kästner weiß bei jeder Frucht, von welchem Hof sie stammt.

Bei den Kunden in der Region kommt das offenbar gut an. Poís ist rasant gewachsen. Kästner arbeitet mit 76 Erzeugern in Portugal zusammen. Alle orientieren sich an den Standards seiner „Poís-Portugal-Fibel“. Längst hat er feste Verkaufsstellen in Stuttgart wie die Gastronomie im Theaterhaus oder den Verein Plattsalat im Stuttgarter Westen. Seit Juni vergangenen Jahres betreiben seine Frau Christine Böhler und er einen Hofladen in Winnenden, ab April sind sie mit einem Laden in der Fluxus-Mall in der Calwer Passage vertreten. Kästners Freund Tobias Kraus steigt bald als Teilhaber bei Poís ein. Alleine kann Kästner die Arbeit kaum mehr stemmen.

Plattsalat kultiviert faire Werte schon seit Jahren

Denn Bio ist in. Jede große Supermarktkette hat eine Bio-Ecke. Der moderne Großstädter fährt gerne mit seiner M-Klasse zum Biosupermarkt, um dort biologisch einwandfreie Äpfel aus der Region zu kaufen. „Es ist so ein Trendscheiß geworden“, sagt Kästner abfällig. Vor allem bei großen Ketten sei aber häufig nicht Bio drin, wo Bio drauf stehe. Die Bio-Zertifizierungen seien verwässert. „Ich traue nur Demeter“, sagt Kästner. Und natürlich seinen eigenen Produkten. Denn, und das sagt er nicht ganz ohne Stolz, sein Poís-Projekt sei einzigartig. Warum er sich darin engagiert? „Mit meinem klitzekleinen System kann ich etwas ändern.“ Und fügt hinzu: „Vielleicht bin ich ein Vorreiter.“

Bio-Supermarkt mit Vereinsanbindung

Mit dem eigenen System etwas zu ändern, das ist auch die Idee hinter dem Stuttgarter Verein Plattsalat. Drei unabhängige Geschäfte in Stuttgart laufen unter dem Dachverein, an der Gutenbergstraße 77a ist das größte mit Café. Der Laden bietet nahezu alles, was der Mensch für das tägliche Leben braucht. Vom Obst über Gemüse bis hin zum Klopapier ist alles aus ökologischer oder regionaler Produktion. Thomas Becker verlässt sich auf die EU-Richtlinien. Der Großteil der Erzeuger komme aus der Region, sonst achte er auf das Bio-Siegel, sagt der Geschäftsführer.

Die Mitglieder von Plattsalat kommen aus allen Schichten

Entstanden ist der Verein Plattsalat 1998. Einige alleinerziehende Mütter waren unzufrieden mit den hohen Preisen von Bioprodukten. Kurzerhand eröffneten sie ihren eigenen Bioladen. Heute hat der Verein Plattsalat rund 700 Mitglieder in Stuttgart, 500 davon im Westen. Durch die monatlichen Beiträge – derzeit 19 Euro für das erste Familienmitglied – sind günstigere Preise möglich. Längst können bei Plattsalat auch Nicht-Mitglieder einkaufen – zu regulären Preisen, ohne Vereinsrabatt.

Das Besondere an der Initiative: Die Mitglieder bestimmen, was in den Läden steht, wie hoch die Löhne sind und von welchen Händlern sie die Ware beziehen. Längst stammen die Plattsalatler aus allen gesellschaftlichen Schichten. „Wir haben viele sozial schwache Mitglieder, aber auch einige, die mit der S-Klasse vorfahren“, sagt Becker schmunzelnd. Einig ist allen eine ähnliche Lebenseinstellung. Faire Arbeitsbedingungen und Gleichberechtigung sind die gemeinsamen Grundwerte der Initiative. Sie soll ein Vorbild sein für faires Wirtschaften.

Beim Obendrauf-Kaffee profitieren Bedürftige

Ein anderes Beispiel für faires Handeln ist der „Obendrauf-Kaffee“. Das Prinzip ist einfach: Ein Kunde bezahlt zwei Kaffee, trinkt aber nur einen. Der zweite wird für einen bedürftigen Kunden aufgehoben. Die Wählervereinigung „Die Stadtisten“ hat die soziale Aktion in Stuttgart verbreitet. Rund 15 Cafés und Geschäfte beteiligen sich derzeit. Der Kaffee ist zwar nicht zwangsläufig bio, aber die Idee ist fair: Wer mehr Geld hat, zahlt für jemanden, der weniger hat.