Hass und Häme löste der Tod von Walter Lübcke bei manchen Nutzern der sozialen Netzwerke aus. Der hessische Politiker war für einige ein rotes Tuch wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen. Nun wird bekannt: Er könnte Opfer eines rechten Gewalttäters geworden sein.

Berlin - Werden sich die Menschen in Deutschland in zehn Jahren an den Todestag von Walter Lübcke erinnern, weil ein von Hass erfüllter Mensch einen Politiker angegriffen hat? So wie man sich an die Messerattacke auf die Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker erinnert? Oder wird dieser Tag im Nachhinein als Beginn einer Welle des Rechtsterrorismus bewertet werden? So wie wir heute auf die frühen 70er Jahre schauen, als es losging mit dem Terror der linken RAF.

 

Im Raum steht der Verdacht, der Mord an dem Regierungspräsidenten könne auf das Konto eines seit langer Zeit in der Szene verwurzelten Rechtsextremisten gehen, der womöglich Mitwisser und noch andere Pläne hatte.

Tatverdächtige schon an rechter Gewalt beteiligt gewesen

Schon vor zehn Jahren soll der verhaftete Tatverdächtige in Dortmund an einem Angriff von Rechtsextremen auf eine 1. Mai-Kundgebung des DGB beteiligt gewesen sein. Und bereits 1993, so „Zeit Online“, soll er einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth verübt haben. Damals war ein brennendes Auto an der Unterkunft gerade noch rechtzeitig gelöscht worden, bevor der selbst gebastelte Sprengsatz auf der Rückbank detonieren konnte.

Zu den Szenegrößen, die überregional bekannt sind und als „Gefährder“ eingestuft werden, gehört der heute 45-Jährige indes nicht.

Die Innenpolitikerin Martina Renner (Linke) hat in der Vergangenheit selbst Drohungen von Rechtsextremisten erhalten. Die Bundestagsabgeordnete sagt: „Rechte Morde sind nicht zu trennen von rechter Hetze auf der Straße, im Internet oder in den Parlamenten.“ Deshalb müsse jetzt „Schluss sein mit Verständnis, Dialog und Homestories für die geistigen und tatsächlichen Brandstifter“.

Lübcke sprach sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus

Auch Armin Schuster (CDU) sieht einen Zusammenhang zwischen rechtsextremer Gewalt „und einem beunruhigenden Klima, das in Deutschland entstanden ist - auch durch die Art und Weise, wie Diskussionen in den Parlamenten und in sozialen Medien geführt werden“. Wenn AfD-Politiker Begriffe wie „Kopftuchmädchen“, „Messermänner“ oder „Vogelschiss der Geschichte“ benutzten, bleibe das nicht ohne Folgen, erklärte Schuster, der Vorsitzender des geheim tagenden Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste ist. Diejenigen, die solche Worte im Mund führten, müssten sich „schon eingestehen, dass sie damit Vorfeldorganisation im rechten Bereich ermutigen“.

Lübcke hatte sich 2015, so wie viele Politiker auf kommunaler und nationaler Ebene, für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Er begründete dies mit christlichen Werten. Und er war nicht der Einzige, der dafür von Gegnern der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in sozialen Medien geschmäht wurde. „Wer denkt, nur „Ausländer“ müssen sich vor Nazis in Acht nehmen, irrt“, schreibt jetzt die Journalistin Ferda Ataman auf Twitter.

Thomas Haldenwang, der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat seit seinem Amtsantritt als Behördenleiter im vergangenen November mehrfach betont, er sehe aktuell erhebliche Risiken im rechten Spektrum. Seine Behörde beschreibt die Szene in einer vertraulichen Analyse, über die die „Welt“ berichtete, als zersplittert: Als maßgebliche Akteure träten mittlerweile „vor allem wenig komplex organisierte Kleingruppen und Einzelpersonen in Erscheinung“ treten.“ Klassische und größere rechtsextreme Organisationen verlören an Einfluss. Damit sei die Überwachung in den vergangenen Jahren „deutlich arbeits- und personalintensiver geworden“.

Staatsschutz müsse gestärkt werden

Schuster sagt, als Konsequenz der NSU-Mordserie habe es beim Bundesamt „gewaltige Veränderungen gegeben, gesetzgeberisch, personell und strukturell“. Aufgrund der neuen „besorgniserregenden Dynamik im rechten Bereich“ sei aber klar, dass dieser Prozess weitergehen müsse.

Bei den Polizeigewerkschaften sieht man das ähnlich. „Die rechte Szene ist gewalttätiger als früher und besser vernetzt“, sagt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. Generell erlebe der Staat einen Autoritätsverlust, was auch Polizeibeamte zu spüren bekämen - nicht nur im Umgang mit Rechtsextremisten.

Der Staatsschutz, also jener Bereich der Polizei, der sich mit politisch motivierter Kriminalität befasst, müsse gestärkt werden, fordert Wendt. An Fertigkeiten mangele es nicht, wohl aber an Kapazitäten. „Wir könnten viel mehr, wenn wir da besser aufgestellt wären. Es wird Jahre dauern, diese Versäumnisse wieder gut zu machen.“

Zwar sei der Staatsschutz im Kampf gegen den Islamismus ausgebaut worden, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. „Dennoch stemmen wir das weitgehend aus der Substanz.“ Statt kurzfristiger Aufstockungen brauche es eine dauerhafte Stärkung.