Auf Europas Festival war der Norweger Joachim Trier mit kleinen Filmen gern gesehen. Jetzt hat er in den USA mit großen Namen wie Jesse Eisenberg und Isabelle Huppert ein ambitioniertes Familienstück gedreht. Hat er sich da zu viel vorgenommen?

Stuttgart - In vielen Familien gibt es diese eine Person, die alles zusammenhält. Wenn sie plötzlich wegbricht, treibt der Rest erst einmal durch den Alltag wie Astronauten, die von ihrer Raumstation abgeschnitten worden sind: unfähig, sich selbst zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen, noch unfähiger, sich gegenseitig Halt zu geben. Im Kino beinhaltet diese Konstellation naturgemäß viel Potenzial für Theatralik. Doch der Film „Louder than Bombs“ des norwegischen Regisseurs Joachim Trier ist trotz seiner Nähe zu einschlägigen Familiendramen eher leise, verletzlich komisch und zeitweise fast unerträglich traurig.

 

Nach dem Unfalltod der berühmten Mutter Isabelle (Isabelle Huppert) hadert die New Yorker Familie Reed damit, sich selbst und ihre Dynamik in einer Welt wiederzufinden, die sie nicht mehr erkennt. Vater Gene (Gabriel Byrme) muss dabei nicht nur mit dem entfremdeten Teenagersohn Conrad (Devin Druid) zurechtkommen, der seine Pubertät in einer halb imaginären Traumwelt verbringt. Auch das auf den ersten Blick geregelte Leben von dessen Bruder Jonah (Jesse Eisenberg) gerät immer mehr ins Wanken.

Zerbrechlich schön

Joachim Trier reflektiert das Ringen der Reeds um Balance mit klarem Blick. Eindrucksvoll nutzt er gegensätzliche Elemente, um das Ausmaß der Katastrophe zu offenbaren: das laute, verrauchte Unglück der Welt, das Mutter Isabelle jahrelang als Kriegsfotografin festhielt einerseits, andrerseits das scheinbar stille Zerbrechen der Familie an der persönlichen Tragödie, an der man gern einmal vorbeischaut, weil eben nichts explodiert und niemand schreit. Doch vieles an diesem Familiendrama wird gerade durch diese fragile Melancholie zerbrechlich schön. Vieles ist im Umbruch, leise und von außen unbeachtet. So schwanken etwa die Figuren nach dem Tod der Mutter gefährlich in sich selbst.

Besonders offensichtlich wird das beim Teenager Conrad, der sich in seinem Delirium nicht sicher zu sein scheint, ob er in hundert verschiedenen Versionen existiert – oder überhaupt nicht mehr. Er lebt in herbeifantasierten Geschichten und driftet ständig aus der Realität ab. Alles wird Fiktion, nichts wirkt mehr real.

Gedehnte Sekunden

Doch nicht nur die Figuren wirken in ihrer Trauer plötzlich unstet, auch Zeit und Raum fallen immer wieder auseinander. Der Film springt Jahre hin und her, dehnt eine Sekunde so aus, dass sie in ihrer Komposition als eigene Mini-Episode durchgehen könnte und lässt mehrere Wochen unkommentiert.

Diese Vorgehensweise erinnert nicht nur stark an die Erzählweise einschlägiger TV-Serien, sondern reflektiert auch das nagende Gefühl der absoluten Orientierungslosigkeit. Trauernde Menschen bekunden ja oft, die Zeit funktioniere anders als normal. Für die Reeds ist das zum quälenden Alltag geworden. In all seiner Traurigkeit lässt „Louder than Bombs“ jedoch genügend Raum für Komik, um nicht zum trübseligen Leidensdrama zu verkommen. Und die Komik versteckt sich gerade in den absurden, kleinen Alltagsmomenten der Familie, in denen die Erinnerung plötzlich realer scheint als die Gegenwart.

Louder than Bombs. USA 2015. Regie: Joachim Trier. Mit Isabelle Huppert, Gabriel Byrne, Jesse Eisenberg, 109 Minuten. Ab 12 Jahren.