Wolfgang Jaworek brachte Interessierten mit einer Führung die Besonderheiten des Fangelsbachfriedhofs nahe. Ein Verein soll zu dessen Erhalt beitragen.

Stuttgart - Ich erinnere mich noch an einen Friedhofsbesuch in den USA, der ziemlich skurril war“, berichtet ein Herr, der sich am Samstagnachmittag am Zugang Filderstraße des Fangelsbachfriedhofs eingefunden hat, um an der Führung mit dem Vorstand der Geschichtswerkstatt Stuttgart-Süd und langjährigen Bezirksbeirat Wolfgang Jaworek teilzunehmen. Die Nutzung von Fahrrädern sei dort nicht erlaubt gewesen. Mit dem Auto hingegen habe man ungehindert über das Gelände rollen können.“

 

Der PKW-Verkehr rund um den Stuttgarter Gottesacker, der 2023 sein 200-Jahr-Jubiläum feiert, ist nahe der Friedhofsmauer zwar noch deutlich wahrnehmbar, je weiter man dem Weg ins Innere der Anlage folgt, desto stärker kommt zwischen Gräbern, alten Bäumen und Grünflächen jedoch deren Parkcharakter zum Tragen.

Die Bestattungskultur hat sich verändert

Die Zunahme an ungenutzten Flächen zeige deutlich, wie stark sich die Bestattungskultur verändert habe, erläutert Jaworek, Mitbegründer der Initiative „Freunde des Fangelsbachfriedhofs“. Als er in den 1980er-Jahren ins Lehenviertel gezogen sei, hätten die Grabstätten dicht an dicht gelegen. Inzwischen hat die Tendenz zum Urnenbegräbnis, zu Friedwald und -wiese Lücken geschaffen. Nur noch 30 Prozent der Begräbnisse sind klassische Erdbestattungen. Der Parkcharakter des nach wie vor genutzten Fangelsbachfriedhofs wurde durch diese Entwicklung weiter verstärkt.

Der Naherholungsfaktor ist nur einer der Aspekte, die Jaworek den zahlreichen Interessierten der Anlage nahe bringt – unter ihnen auch Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin im Bezirk Mitte und Baubürgermeister Peter Pätzold. Wichtig ist ihm auch die kulturgeschichtliche Seite des Bestattungsortes. Rund hundert historische Grabmale finden sich auf dem Gelände. Lediglich zwanzig von ihnen sind als Kulturdenkmale geschützt. Bei den übrigen drohen gusseiserne Kreuze durchzurosten. Sockel zeigen Risse.

Ein wenig Zuwendung täte den Zeugen des Zeitgeistes vergangener Jahrhunderte gut. Jaworek möchte einen Verein gründen, der sich dieser Aufgabe widmet und sich des Sepulkral-Erbes annimmt. Er spricht in diesem Zusammenhang von „Inbesitznahme durch die Stadtgesellschaft“.

Die Mittel der Stadt sind erschöpft

Stuttgart investiert jährlich 45 000 Euro in erhaltenswerte Gräber. Auf den 42 städtischen Friedhöfen sind es hunderte. Die Mittel sind erschöpft. Initiative ist gefragt.

Wolfgang Jaworek zeigt exemplarisch besonders auffällige oder für den Geschmack einer bestimmten Epoche typische Grabsteine. Beispiele für die antikisierten Elemente des Historismus, Bronzen aus der Kunsterzgießerei des Stuttgarters Wilhelm Pelargus, aber auch zeitgenössische Exempel, die zeigen, wie vielfältig Gräber heute gestaltet werden können.

So hebt er eine hölzerne Skulptur in Form einer Spielfigur hervor. Hier hat ein guter Bekannter des Historikers seine letzte Ruhe gefunden. „Er war Teil einer Malefizrunde“, erklärt dieser. „Das Motiv soll an die gemeinsamen Abende erinnern.“ Unter den Teilnehmern der Führung haben etliche Angehörige oder Bekannte, die auf der 3,5 Hektar umfassenden Fläche des Fangelsbachfriedhofs liegen.

Wer nach Prominenz sucht, wird ebenfalls fündig. Dichtersohn Carl von Schiller ist hier ebenso bestattet wie Unternehmer Gustav Siegle oder Immanuel Hermann Fichte, Spross des Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Luise Schall, geborene Rau, war mit Eduard Mörike verlobt. Dessen Grabstätte befindet sich allerdings auf dem Pragfriedhof. Natur, Kunstgeschichte, Stadthistorie: Jaworek sieht viele Gründe, den Kirchhof im Süden pfleglich zu behandeln. Die samstägliche Führung macht sie nachvollziehbar. Das gilt auch für die Idee, mit einem gemeinnützigen Verein zum Erhalt des Fangelbachfriedhofs beizutragen.