Als Hochburg des närrischen Treibens ist Stuttgart nicht gerade bekannt. Doch in jüngster Zeit bekommen die Vereine Zuwachs und es etablieren sich neue Veranstaltungen.

Stuttgart - Köln, Mainz oder Rottweil – beim Thema Karneval, Fasenacht oder Fasnet fallen den meisten Narren sofort diese Städte als Synonym für die fünfte Jahreszeit ein. Doch wie sieht es mit Stuttgart als Narrenhochburg aus?

 

Skeptiker könnten darauf mit einer Anekdote vom ersten Umzug nach dem Zweiten Weltkrieg kontern: Als damals einer der wenigen Zuschauer einem Bekannten auf einem Wagen zugewunken hat, soll dieser von einem Nachbar zurechtgewiesen worden sein: Hand runter – mir wollet au was sehe. 70 Jahre später zeigt sich ein anderes Bild und die Stuttgarter Narren bekommen ein großes Kompliment: „Wenn man die Kübler in Cannstatt nimmt oder die diversen Karnevalsvereine, dann hat sich da einiges entwickelt in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen“, sagt der Kulturanthropologe Werner Mezger, der sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Fastnacht beschäftigt.

Den Fastnachtsmuffeln den Spaß beibringen

Dieser Satz geht bei den drei Narren Anita Roesslein, Panajotis Delinasakis und Stefan Furtner natürlich runter wie Öl. Das Trio repräsentiert einen passenden Ausschnitt der Stuttgarter Fastnachtskultur: Anita Roesslein steht als Präsidentin dem Festkomitee der Stuttgarter Karnevalsvereine vor und ist gleichzeitig Präsidentin der KG Schwarze Störche, Panajotis Delinasakis ist Mitglied und Ratsschreiber im Küblerrat in Cannstatt und verkörpert die Schwäbisch-Alemannische Fasnet, und Stefan Furtner ist der Vorsitzende der Guggenmusik First Guggenband. „Ich stehe irgendwo zwischendrin, aber wir siedeln uns eher im Karneval an“, sagt Furtner.

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Früher sind sich die beiden Lager in Stuttgart eher misstrauisch begegnet – inzwischen eint sie die Leidenschaft für ihr Hobby und die Absicht, den Spaß auch Fastnachtsmuffel näher zu bringen. „Wir wollen alle das gleiche - nämlich das Brauchtum an die Kinder weitergeben und zu zeigen, dass dies eine Freizeitbeschäftigung für alle sein kann“, sagt Anita Roesslein. Die Grenzen zwischen Fasnet und Karneval seien immer mehr aufgebrochen – so gibt es in den Karnevalsvereinen mittlerweile nicht nur Kappen - sondern auch Hästräger. Karneval findet aber weiter in den Hallen statt, die Fasnet auf der Straße und in den Lokalen wie bei den Küblern in Bad Cannstatt.

Für Stefan Furtner und seine Musiker ist die Band anders als bei den anderen Narren ein Ganzjahresengagement, bei dem wöchentlich geprobt wird. Und mit Auftritten unter dem Jahr finanziert die Gruppe dann wieder ihre Karnevalseinsätze. Er hat die Narretei auch in die Kirche gebracht – seit Jahren findet in der katholischen Gemeinde St. Jakob in Feuerbach am Sonntag vor dem Schmotzigen Donnerstag immer ein sehr gut besuchter Fastnachtgottesdienst statt, den die First Guggenband musikalisch begleitet.

Hochburg oder Hochbürgle?

Taugt Stuttgart also doch schon als Fastnachtshochburg oder doch eher als Hochbürgle? „In ganz Stuttgart es sicher noch nicht flächendeckend angekommen, aber in den Stadtteilen führen wir alle ein spannendes Eigenleben“, sagt Panajotis Delinasakis, der auch eine neue Wertschätzung sieht und den gesellschaftlichen Auftrag der Narren beschreibt.

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Dazu zählen die Besuche der Narren in sozialen Einrichtungen. „Da spüren die Menschen, da nimmt sich jemand Zeit für uns und wir blicken in leuchtende Augen“, sagt Kübler Delinasakis. Der Respekt vor den Karnevalisten zeigt sich für Anita Roesslein auch darin, dass aktive Kinder inzwischen für ihren Einsatz von der Schule befreit werden. „Aber anders als bei den Sportvereinen bleibt uns quasi nur die Zeit der Kampagne, um für uns zu werben“, sagt Roesslein.

Die Karnevalisten sehen noch Potenzial in Stuttgart

Die Vollblutkarnevalistin sieht aber auch in den eigenen Reihen noch Potenzial - so stört sie beim großen Umzug am Fastnachtsdienstag in Stuttgart schon, dass die Besucher mehr Leidenschaft für die geworfenen Süßigkeiten mitbringen als für die Gruppen. Das Ganze sei vielleicht auch einfach zu weitläufig ausgerichtet. „Da haben die Umzüge auf den Dörfern schon eine ganz andere Atmosphäre“, sagt sie.

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Als Bereicherung hat sie aber das im vergangenen Jahr das erstmalig ausgetragene Fest auf dem Karlsplatz im Anschluss an den Umzug empfunden. „Da gab es ein tolles Miteinander zwischen Teilnehmern und Besuchern“, sagt Roesslein. Dem närrischen Trio ist also nicht bange vor der Zukunft. „Aber wir müssen trotz Tradition mit der Zeit gehen“ sagt Panajotis Delinasakis.

Sie werden alle weiter daran arbeiten, damit aus dem Fastnachtshochbürgle irgendwann eine Hochburg wird.