Drei Tage haben 10 000 Narren im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt gefeiert. Unser Redakteur durfte dafür ins Häs samt Maske schlüpfen und weiß nun, wofür Damenbinden noch gut sind.

Bad Cannstatt - Wenn Felbennähmeister Olaf Betsch gefragt wird, wie sich die Fasnet anfühlt, dann fällt ihm sofort der Sonntagsbraten ein. Nur wer davon gekostet hat, weiß, wie gut er schmeckt. Mit dem Häs verhält es sich ähnlich: Nur wer es getragen hat, weiß wie die Fasnet schmeckt. Da passt es perfekt, wenn ausgerechnet das Große Narrentreffen im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt stattfindet und man die Ehre hat, ins Narrengewand zu steigen.

 

Das Treffen ist eine Art Luxus-Sonntagsbraten mit allen Extras. Die Sauerwasserstadt ist eine echte Narrenhochburg mit einer Tradition, die bis 1855 reicht. Die Hauptfigur der Cannstatter Fasnet ist die Felbe. Diese trägt ein Blätzleshäs in den Farben Grün, Rot, Orange und Braun und eine Lindenholzmaske. Die Felbe ist die Hauptfigur der Cannstatter Fasnet. Sie entstand 1952 und geht auf eine Legende zurück. Demnach zog die Cannstatter Bürgerwehr in den Pfälzischen Erbfolgekriegen 1688-1697 aus, um sich französischen Soldaten entgegenzustellen. Doch die „Franzosen“ entpuppten sich als „Felben“ – der mundartliche Ausdruck für Korbmacherweiden.

Der Narr löst Staunen und Mitleid aus

Bevor der Narr ein Narr wird, will die Kleiderwahl gut überlegt sein. Ein weißes Hemd unter dem Häs ist Pflicht, der Kübler-Knoten, eine schwarze Filzkugel als eine Art Fliege, das Maß der Dinge. Schwarze Schuhe und dunkelgrüne Handschuhe und eine Weinbergrätsche runden das Outfit ab. Es braucht Zeit, bis alles am rechten Platz sitzt und die Hosenträger so platziert sind, dass das Häs nicht bei jedem Sprung rutscht.

Wer sich im Häs abseits von Bad Cannstatt im öffentlichen Nahverkehr tummelt, der wird gemustert, Mitleid gepaart mit Verwunderung bei den Erwachsenen, Freude und Staunen bei den Kindern. Aber ein echter Narr braucht kein Mitleid, fühlt er sich doch einem Brauchtum verbunden, das Jahrhunderte zurückreicht. Dennoch ist die Freude groß, als ihm am Cannstatter Bahnhof der erste Guggenmusiker grinsend zunickt und eine „glückselige Fasnet“ wünscht.

Felben-Häsrat Andreas Mäule, der keine Mühen gescheut hat den Neu-Narren mit allen Utensilien auszustatten, bringt das Sahnehäubchen pünktlich zum Beginn des Treffens mit: die Maske oder besser noch Larve. Diese wird für jedes Gesicht individuell angepasst. Das hat seine Tücken, vor allem wenn der Neu-Narr Brillenträger ist, und nicht aufs Sehgestell verzichten kann.

Die Narren sind eine Gemeinschaft

Doch an diesem Abend nützt das alles nichts, das Aufstellen des Narrenbaums wartet und die Felben müssen dabei sein – und zwar mit Maske. Die erste Herausforderung heißt: ohne jemanden umzurennen, zum Alten Rathaus zu gelangen. Die Maske rutscht, die Brille drückt und beschlägt – und doch ist es ein besonderer Moment. Das Häs wärmt, die Stimmung ist heiter und ein bisschen bekommt man einen Eindruck davon, wie stark die Gemeinschaft unter den Narren ist. Das betrifft bei weitem nicht nur die eigene Zunft. Man kennt sich und hilft sich – beim Thekendienst oder der Aufsicht über ein Nachtquartier. Beim Großen Narrentreffen laufen nur die Zünfte mit, die etwas mit der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) zu tun haben. In Stuttgart und drumherum gibt es nur die Kübler und die Urzelnzunft aus Sachsenheim (Landkreis Ludwigsburg), die dieses Merkmal erfüllen.

Der Fackelumzug am Freitag ist für all die anderen befreundeten Zünfte gedacht. Eine wunderbare Geste! Doch zurück zur Maske! Was tun gegen das Rutschen? Erfahrene Felben raten zu Damenbinden. Damit polstert man die Innenseite der Larve aus – und es funktioniert. Doch am Samstag ist sie noch nicht vonnöten. Der Brauchtumsstreifzug spült die VSAN-Hästräger nach Bad Cannstatt – und wer ins Häs der Felben schlüpft, der wird sofort zum potenziellen Stadtführer. Wo ist der Waschsalon? Wo geht es zum Alten Rathaus? Als Narr im Freundschaftshäs, so heißt das, darf man allerdings auch mal nichts wissen. Böse ist einem da keiner.

Und sage noch einer, die Fasnet sei verkrampft und viel zu ernst. Wer während des Großen Narrentreffens in den Cannstatter Gassen unterwegs ist, der kann sich davon überzeugen, die Fasnet ist Freude und Spaß pur – und das ohne, dass irgendjemand auf dumme Gedanken kommt. Ein Hästräger bringt es treffend auf den Punkt: „Vielleicht sind wir die normalen Menschen und die anderen die Narren.“ Am Sonntag dann der große Tag. Die Maske passt, in der Regionalbahn sitzt der ein oder andere, der weiß, was in Cannstatt los ist. „Darf ich ein Foto von der Maske machen?“, fragt eine Frau. Eine ältere Dame erzählt von den Großen Narrentreffen 1968 und 1992 in der Sauerwasserstadt. In Bad Cannstatt herrscht Ausnahmezustand. Die Narren haben das Regiment übernommen. An der Wilhelmsbrücke warten die anderen Felben, geben noch den einen oder anderen Tipp („Süßigkeiten nicht werfen.“) Die Nervosität steigt. Dann heißt es: Masken aufsetzen! Die Kanonen ertönen, der Umzug setzt sich in Bewegung.

Als ausrichtende Narrenzunft laufen die Zunft Kübelesmarkt und damit auch die Felben vorneweg. Das Gesichtsfeld unter der Maske ist eingeschränkt.

Am Ende bleibt Wehmut und eine Geschmacksexplosion

Immer wieder heißt es, den Kopf nach links und rechts drehen und nach unten schauen. Die Weinbergrätschen machen einen mordsmäßigen Radau, die Zuschauer stehen dicht gedrängt in der Markstraße. Erst mal miträtschen. Wichtig: immer über dem Kopf, damit niemand getroffen wird. Und was jetzt? Süßigkeiten verteilen an die Kinder. Ein Mädchen macht große Augen. Stimmt, die Lindenholzlarve ist ein wenig gruselig. Also, den Kopf leicht schief legen und die behandschuhte Hand vorstrecken. Das Mädchen lächelt und greift zu.

Manche Felben hüpfen zwischen den Zuschauern hindurch. Das muss noch warten, auch weil man sich unter der Maske wie in einem Gewächshaus fühlt. Der Schweiß rinnt. Oh, da reißt eine Lücke auf. Schnell hinterher, weiter Süßigkeiten verteilen. Immer wieder kommt die Rätsche zum Einsatz. Irgendwie fühlt man sich behütet und geborgen in dieser Gruppe. Irgendwann stoppt der Tross, Maskenmeister Axel Rahm nimmt seine Larve ab, die anderen Felben tun es ihm nach. Die Gesicht sind verschwitzt und gerötet, meine Brille ist beschlagen. Wie war es, fragen die Felben. Einfach schön.

Als am Abend Häsrat Andreas Mäule die Maske wieder in Empfang nimmt, ist ein bisschen Wehmut dabei. Es fühlt sich wie ein Abschied an – vielleicht ist es ja nur einer auf Zeit. Spaß hat es gemacht – aber es ist mehr als das. Die Zünfte sind so unterschiedlich und doch bilden sie eine verschworene Gemeinschaft. Dieses Brauchtum muss weiterhin bewahrt werden. Und wie hat der Sonntagsbraten geschmeckt? Es war eine Geschmacksexplosion!