Der knappe 5:4 gegen den 1. FC Heidenheim hat die Zweifel an Niko Kovac und seinem FC Bayern genährt. Nun geht es für die Münchner um eine Vorentscheidung im Titelrennen – und um das Selbstverständnis eines Trainers.

Sport: Marco Seliger (sem)

München/Stuttgart - Das Grummeln war schon nicht mehr zu hören. Es gab eine Zeit vor ein paar Wochen, da war Niko Kovac (47) sogar so etwas wie der Trainer der Stunde. Er war der Mann, der die Krise gemeistert hat, weil er die Zügel anzog. Er war der Mann, der mit seiner ausgeklügelten Defensivtaktik Liverpools bebende Anfield Road zum Schweigen brachte. Der das Trainerduell der Champions League im Hinspiel gegen Jürgen Klopp ganz klar gewann – trotz des 0:0. Der die neun Punkte in der Bundesliga auf Borussia Dortmund im Handstreich in einen Vorsprung verwandelte. Mia san wieder mia! Und: Mia san plötzlich: Kovac.

 

Und jetzt?

Kommt genau dieses Borussia Dortmund an diesem Samstag (18.30 Uhr) zum Spiel der Saison zum FC Bayern. Und der Wind rund um Kovac, der hat sich in München wieder gedreht. Aus Rückendwind wurde Gegenwind. Frontal. Kovac stellt sich dem, na klar, er ist das ja schon gewohnt aus dem Krisen-Herbst, er ist ein Kämpfer, das betont er gerne. Und seine kroatischen Wadln sind wie zu Spielerzeiten noch immer recht stramm. Kovac fällt nicht um, das nicht – aber hält er sich auch dauerhaft, also über die laufende Saison, in München? Ist er also der Mann, der von der neuen Spielzeit an den vielleicht größten Umbruch in der Geschichte des FC Bayern an der Seitenlinie verantworten darf? Die Zweifel sind wieder da – und sie sind nach diesem Abwehr-Kuddelmuddel vor ein paar Tagen beim 5:4 im DFB-Pokal gegen den Zweitligisten 1. FC Heidenheim nicht kleiner geworden.

Kovac ist inzwischen wieder in der Defensive

Fakt ist: Vor dem Spitzenspiel gegen den BVB fliegt diesem Kovac gerade mal wieder alles um die Ohren, was einem als Trainer des Rekordmeisters so um die Ohren fliegen kann. Die Bayern sind nicht mehr Tabellenführer und gehen mit zwei Punkten Rückstand ins Topduell – und sie sind raus aus der Champions League. Weil Klopp und der FC Liverpool im Rückspiel dann doch mindestens eine Nummer zu groß waren. Seitdem findet sich Kovac wieder im Rechtfertigungsmodus. Er ist in der Defensive. Und nicht mehr im Angriff.

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Die Vorwürfe liegen auf der Hand, und das Schlimme aus Kovac’ Sicht: Sie ähneln jenen vom Krisen-Herbst frappierend: keine Spielidee, keine Weiterentwicklung, kein Plan B – und vor allem: Defensive Anfälligkeiten und Schludrigkeiten, gepaart mit einer bisweilen arg schlampigen Einstellung, gerne und oft gegen kleine Gegner. Wie zuletzt beim 1:1 gegen den SC Freiburg. Das sind die Hauptkritikpunkte – die ganze Wucht allerdings bekam Kovac schon nach dem Rückspiel gegen den FC Liverpool zu spüren.

Liegt die Schuld beim Trainer oder bei den Spielern?

Mutlos, planlos in der Offensive und anfällig hinten, so traten die Bayern gegen Jürgen Klopps Team auf, es war eine erschreckende Leistung, die der Rekordmeister bot. Hinterher gab es Kritik aus den eigenen Reihen, einige Spieler monierten die angeblich zu defensive Ausrichtung – und spätestens da war Kovac in der Systemdebatte wieder in der Defensive.

Gebetsmühlenartig predigt der Disziplinfanatiker Kovac ja im Gegenzug schon seit Monaten, dass seine Spieler endlich ihre Nachlässigkeiten abstellen sollen in der Defensive, dass sie ihr taktisches Fehlverhalten in den Griff bekommen müssen. Bisher ohne dauerhaften Erfolg. Ob das nun Kovac anzulasten ist, weil er nicht zu den Boatengs und Hummels dieser Welt durchdringt oder zu einigen satten Profis oder Künstlern wie James oder Thiago, die sich wenn überhaupt, nur noch gegen große Gegner zu defensiver Disziplin aufraffen – das ist eine große Frage, die die Münchner Clubbosse umtreibt.

Die Bayern-Bosse haben den Umbruch verschoben

Klar ist aber auch, dass es Kovac in der Gesamtsicht nicht leicht hat in dieser Vor-Umbruchsaison der Bayern. Er hat es nicht zu verantworten, dass er ständig Rücksicht nehmen muss auf alternde Helden auf der Ehrenrunde (Robben, Ribéry), und dass Weltmeister wie Jérome Boateng sich zum Sicherheitsrisiko entwickelt haben. Und nun ja, dass die Vereinsführung den nun für die neue Saison ausgerufenen Umbruch noch nicht vor der aktuellen Spielzeit konsequent angeschoben hat, auch dafür kann Kovac nichts.

Vor dem Topspiel gegen den BVB lässt sich also sagen, dass Kovac sich tapfer müht, mit den Gegebenheiten klarzukommen. Er hatte Ausreißer nach oben, aber auch nach unten. Niko Kovac also hat noch nicht nachhaltig für sich geworben. Allerdings: Er hat sich, wenn man so will, auch noch nicht für eine Trennung im Sommer aufgedrängt. Klar ist, dass Kovac jetzt einen Dreier gegen den BVB braucht. Kurzfristig, um sich die Titelchance zu bewahren. Und mittelfristig, um Punkte zu sammeln für einen Verbleib über diesen Sommer hinaus.

Im Saisonendspurt ist alles offen

Was da kommt? Alles ist offen. Holt Kovac das Double aus Meisterschaft und Pokal, wäre das, klar, ein Erfolg. Aber im Grunde auch nur das, was dem Münchner Selbstverständnis entspricht. Für einen Verbleib von Kovac spricht, dass Trainergrößen der Kategorie Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp derzeit nicht zu haben sind. Sollten die Bayern nun aber gegen den BVB verlieren, dann entwickelt sich erst mal die berühmte Eigendynamik. Und der Kroate liefe bei Platz zwei in der Endabrechnung Gefahr, dass die Bayern-Boss eben doch den Daumen senken.