Per Videoschalte hat sich Parteichef Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag in Berlin zu Wort gemeldet. Doch ausgerechnet, als er auf ein Lieblingsanliegen der Liberalen zu sprechen kam, brach die Liveübertragung ab.

Christian Lindner ist früh aufgestanden an diesem Samstagmorgen. Während der Frühjahrstagung des Währungsfonds in Washington hat sich der Bundesfinanzminister ja Corona eingefangen und sitzt nun dort in Hotel-Quarantäne. Also kann er nicht zum FDP-Parteitag in Berlin kommen und spricht deshalb morgens um sechs Uhr Washingtoner Zeit per Videoschalte zu den Delegierten des FDP-Parteitags in Berlin: „Das ist die früheste und am weitesten entfernte Rede, die wohl je ein Vorsitzender auf einem Parteitag gehalten hat“.

 

Der tagt zum ersten Mal seit Langem wieder in voller Präsenz mit knapp 700 Delegierten und vielen Gästen. Die Liberalen versammeln sich traditionell im Frühjahr zu ihrem Parteitag, was in diesem Jahr heißt: Das FDP-Treffen ist die erste Zusammenkunft einer Partei seit Beginn des Ukrainekriegs.

Künstlerische Antwort

Draußen vor der Tagungshalle am Berliner Gleisdreieck machen die Jungen Liberalen klar, dass der Westen aus ihrer Sicht viel zu zögerlich handelt. Juli-Chefin Franziska Brandmann fordert, sofort keine Energie aus Russland mehr zu kaufen, Kiew schwere Waffen zu liefern und einen Untersuchungsausschuss gegen „Kreml-Freunde“ in Deutschland einzusetzen. Wer die sind? Die Julis geben eine grafische Antwort. Der Künstler Tom Kutsche hat Graffiti von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) sowie der Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), gemalt, die die drei Politiker als die sprichwörtlichen drei Affen zeigen: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

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So richtig begeistert von der Juli-Aktion scheint Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, nicht zu sein. Jedenfalls äußert sie sich recht diplomatisch dazu: „Es ist immer gut, wenn die Julis dem Establishment Beine machen“. Der Krieg und seine Folgen betreffen ja gerade die Jüngeren. „Ich hatte das Glück, mein ganzes Leben in Frieden leben zu können“, meint die 64 Jahre alte Abgeordnete. Die Sache mit dem Untersuchungsausschuss leuchtet ihr aber nicht ein – und der sofortige Stopp aller Energieimporte aus Russland auch nicht.

Konsequenzen müssen bedacht werden

Ja, Kiew brauche dringend schwere Waffen, meint Strack-Zimmermann. So sieht es auch der Bundesvorstand, der in seinem Ukraine-Antrag für den Parteitag zudem betont, dass Deutschland „schnellstmöglich“ von russischen Rohstoffen unabhängig werden müsse, um dann – aber eben erst dann -, auf „Lieferungen verzichten und ein Embargo beschließen zu können.“

Diese Linie trägt der Ravensburger Abgeordnete Benjamin Strasser mit. Es sei das Privileg der Jugend, radikale Forderungen aufzustellen: „Aber dann muss man sich über die Konsequenzen klar sein.“ Eine davon sei beim sofortigen Importstopp russischen Gases, dass die Glasindustrie und viele andere Branchen von heute auf morgen tot seien: „Und das wäre dann irreversibel.“ Es dauere wohl leider bis Ende 2024, bevor die deutsche Wirtschaft beim Gas keine Lieferungen mehr aus Russland brauche. Bei den Reaktionen auf Putins Überfall gelte ein Prinzip, meint Strasser: „Wir machen das, was wir auch auf Dauer selber durchhalten können.“

Lindner stärkt dem Kanzler den Rücken

Die Position, die die FDP-Spitze in ihrem Antrag formuliert, deckt sich mit der des Kanzlers. Der Vorstand will also Geschlossenheit in der Ampel-Koalition bekunden – gerade weil es zuletzt aus den Reihen der Liberalen deutliche Kritik an Scholz gegeben hatte. Sie schätze den Kanzler, hatte Strack-Zimmermann am 21. April getwittert: „Es ist mir nur schleierhaft, wieso so unklar kommuniziert und gehandelt wird.“ Aus dem fernen Washington stärkt dagegen Lindner dem Kanzler ostentativ den Rücken: „Herr Scholz verfügt über ein inneres Gelände. Gerade das zeigt er auch jetzt. Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Bundestag.“

Bei so vielen Treueschwüren zu Scholz bleibt die Frage, was eigentlich die liberale Handschrift in der Ampel ist. Immerhin musste ausgerechnet der Bundesfinanzminister Christian Lindner enorm viele neue Schulden aufnehmen: „Ich mache das nicht gerne oder leichtfertig, meint Lindner und fügt hinzu: „Wir orientieren uns an den Realitäten.“ Aber wenn er schon bei den Schulden alte Positionen der Liberalen räumt, will er wenigstens an anderer Stelle FDP-pur: Keine Steuererhöhungen. „Der Verzicht auf Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag war richtig und bleibt es.“

Leitung wackelt

Und was ist mit einem zweiten gelben Lieblingsprojekt, sprich: der Schuldenbremse? Als Lindner darauf zu sprechen kommt, wackelt die Leitung. Mal ist er zu hören mal nicht. Und als sich zeigt, dass das technisch nicht mehr hinhaut, verschwindet er vom Bildschirm in der Parteitagshalle. Aber so viel war vor der technischen Panne doch zu verstehen: Die Schuldenbremse will der Finanzminister keineswegs aufgeben. Es soll also keineswegs so sein, dass die FDP nur der Berliner Coronapolitik der Ampel ihren Stempel aufdrückt. Denn damit punkten die Liberalen nicht so recht. Jedenfalls legen sie den aktuellen Meinungsumfragen nicht zu.

Noch macht das die Partei nicht wirklich nervös. Aber im Mai stehen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen an. Und sowohl in Kiel wie in Düsseldorf bangt die FDP, ob sie dort auch in den kommenden fünf Jahren an den Landesregierungen beteiligt sein wird.