Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Sie haben sich immer eine gewisse Distanz zum politischen Betrieb gewahrt. Stimmt dieser Eindruck?

 

Ich bin in der Tat der Meinung, dass es bei einem Geschäft wie der Politik wichtig ist, Distanz zu halten, dass man sich auch mal aus der Entfernung betrachten kann. Das ist eine ganz bewusste Haltung, um nicht abzuheben. Das politische Geschäft hat seine faszinierenden Seiten, aber man muss auch achtgeben, dass man darin nicht ganz aufgeht.

Noch vor wenigen Monaten wollten Sie sich nicht festlegen, ob Sie für eine volle Legislaturperiode als Minister zur Verfügung stehen. Was sagen Sie heute?

Ich wollte mich damals nicht als erstes vor der Landespresse äußern. Wie lange man in der Politik ist, hängt auch damit zusammen, wie lange man jemanden in der Politik haben will. Nachdem ich gemerkt habe, dass das missverstanden wird, sage ich jetzt: ich bleibe endlos dabei.

Das glauben wir Ihnen nun auch nicht. In der FDP kursieren Planspiele für einen Wechsel nach zwei oder drei Jahren.

Ihr Slogan "Vorn bleiben" ist an das "Oben bleiben" der Stuttgart-21-Gegner angelehnt, was zum Verändern einlädt. Haben Sie das bedacht?

Über einen solchen Slogan wird ja viel diskutiert, da werden Dinge gedreht und gewendet. Mir fällt eigentlich nur auf, dass die Plakate in der Stuttgarter Innenstadt von Stuttgart-21-Gegnern überklebt werden. Das gefällt mir fast schon wieder, weil sie sich dadurch entlarven. Die sind nicht in der Lage, die Meinung der anderen zu achten, deswegen werden die Plakate verschandelt.

Ein zweites Großplakat, das Sie auf dem Motorrad zeigen sollte, wurde wieder verworfen. Warum eigentlich?

Dank der Veröffentlichung in der Stuttgarter Zeitung stößt das Plakat jetzt auf solches Interesse, dass wir es auf Wunsch doch anbieten werden. Es gab zunächst den Einwand, dass unser Slogan "Motor: FDP" zu sehr mit dem Verbrennungsmotor verbunden werden könnte. Aber viele Parteifreunde haben mich angesprochen, dass es doch ein schönes Motiv sei.

Vielleicht hat auch die Sorge, Ihre Fortbewegungsmittel zu thematisieren, eine Rolle gespielt. Ihr Sportwagen und Ihre Waffen werden ja breit genug erörtert. Nervt es Sie, dass solche Themen eine solche öffentliche Resonanz finden?

Keine Frage, dass mich das nervt. Es tut schon ein bisschen weh, dass man mit solchen Sachen bekannter wird als mit jeder Sacharbeit. Aber gerade im Autoland Baden-Württemberg sollte es nachvollziehbar sein, dass man im Laufe vieler Jahre mal den einen oder anderen Wagen ausprobiert.

Andere Politiker blühen im Wahlkampf erst richtig auf, so Ihr Vorgänger Walter Döring. Täuscht der Eindruck, dass der Wahlkampf für Sie eher ein notwendiges Übel ist?

Der Wahlkampf ist für mich bestimmt kein notwendiges Übel. Jeder hat einen Entwurf, wie er Politik machen möchte. Meinem Stil steht vielleicht das, was typisch für Wahlkämpfe ist, mehr entgegen als irgendeinem anderen Stil. Aber ich will und kann ihn nicht anpassen. Ich werde auch kein Marktschreier. Dieser seit Jahrhunderten gleiche rhetorische Gestus, der den Zweck hat, irgendwelche Massen mitzunehmen - ich weiß gar nicht, ob ich das könnte, wenn ich es wollte. Aber ich will nicht. Dass wussten die Mitglieder, und sie wollten mich trotzdem zum zweiten Mal als Spitzenkandidaten. 

"Wichtig ist, sich am Kabinettstisch zu positionieren"

Sie haben sich immer eine gewisse Distanz zum politischen Betrieb gewahrt. Stimmt dieser Eindruck?

Ich bin in der Tat der Meinung, dass es bei einem Geschäft wie der Politik wichtig ist, Distanz zu halten, dass man sich auch mal aus der Entfernung betrachten kann. Das ist eine ganz bewusste Haltung, um nicht abzuheben. Das politische Geschäft hat seine faszinierenden Seiten, aber man muss auch achtgeben, dass man darin nicht ganz aufgeht.

Noch vor wenigen Monaten wollten Sie sich nicht festlegen, ob Sie für eine volle Legislaturperiode als Minister zur Verfügung stehen. Was sagen Sie heute?

Ich wollte mich damals nicht als erstes vor der Landespresse äußern. Wie lange man in der Politik ist, hängt auch damit zusammen, wie lange man jemanden in der Politik haben will. Nachdem ich gemerkt habe, dass das missverstanden wird, sage ich jetzt: ich bleibe endlos dabei.

Das glauben wir Ihnen nun auch nicht. In der FDP kursieren Planspiele für einen Wechsel nach zwei oder drei Jahren.

Dass irgendwann ein Wechsel kommt, ist völlig klar. Zu einer halbwegs erfolgreichen Laufbahn gehört auch ein erfolgreicher Übergang. Aber wann und wie das stattfindet, wird man gemeinsam zu entscheiden haben. Es gibt keine konkreten Pläne.

Sie sind angeblich bald der dienstälteste Justizminister aller Zeiten. Stimmt das? Wann erreichen Sie den Rekord?

Das stimmt, jedenfalls auf der Landesebene. Vor einiger Zeit hat hier im Haus mal jemand ausgerechnet, dass ich im April Wolfgang Haussmann überhole. Dann bin ich in der Tat der dienstälteste Justizminister - vielleicht sogar bundesweit.

Das Justizministerium galt früher einmal als Schmalspurressort ohne nennenswerte Breitenwirkung - zu Unrecht, oder?

Das stimmt, glaube ich, in gar keiner Hinsicht. Die Bedeutung der Ressorts - was ist ein wichtiges, was ein weniger wichtiges - wird ohnehin überschätzt. Das eigentliche Geschehen findet am Kabinettstisch statt, da ist es wichtig, wie Sie sich positionieren, welchen Einfluss Sie nehmen können. Tatsache ist aber, dass die Justiz eine der wichtigsten Staatsaufgaben ist. Übrigens ist es auch ein Ressort, bei dem die alltagsrelevanten Materien geradezu links und rechts auf der Straße liegen. Da muss man nur zugreifen.

Sie arbeiten inzwischen mit dem dritten CDU-Ministerpräsidenten zusammen. Wie unterscheidet sich das Regieren mit Stefan Mappus von dem mit Oettinger oder Teufel?

Die drei sind menschlich natürlich unterschiedlich, aber die Zusammenarbeit war und ist immer sehr gut. Der Erwin Teufel hat erst entschieden und dann den anderen Bescheid gesagt, der Günther Oettinger hat erst mit allen geredet und dann vielleicht immer noch nicht entschieden, und mit Stefan Mappus kehren wir eher wieder zum Modell Teufel zurück.

Kann sich die FDP vom konservativen Mappus besser abheben als vom liberalen Oettinger?

Ja, da ist was dran. Der Stefan Mappus gibt eher den Konservativen. Aber eigentlich ist er genauso ein verkappter Liberaler wie Oettinger. Man sieht es ihm nur nicht von weitem an.

"Ich war tatsächlich Juso"

In der CDU gilt die FDP als relativ pflegeleicht. Manche sprechen sogar von gelb lackierten Schwarzen. Trifft das zu?

Natürlich nicht. Es gibt ja auch gegenteilige Einschätzungen - zum Beispiel die, dass wir der Schwanz seien, der mit dem Hund wedelt, dass wir also viel zu viel Einfluss hätten.

Davon, dass Sie mal Jungsozialist waren, ist aber nicht mehr viel zu spüren.

Ich war tatsächlich zwischen 1972 und 1976 Juso. Die damaligen Ziele habe ich in gewisser Weise auch nicht aufgegeben. Um es ein bisschen philosophisch auszudrücken: Das Ziel der Politik wird immer das größte Glück der größten Zahl von Menschen sein. Aber als Jusos sind wir von der einen oder anderen falschen Annahme ausgegangen, das hat sich seither natürlich geändert. Positiv bleibt an der 68er-Zeit, dass man sich Gedanken gemacht hat: wie gestalten wir die Gesellschaft menschlich?

Haben Sie die zeitweise schlechten Umfragewerte für die FDP nervös gemacht?

Man macht sich natürlich manchmal Gedanken. Aber ich halte es für praktisch ausgeschlossen, dass wir hier aus dem Landtag fliegen. Wenn man Jahre dabei ist, kennt man die Situation, dass wir meistens vorher unterschätzt werden. Man muss auch sehen, dass wir uns seit 1996 gewaltig verstärkt haben - wir sind in den Kommunalparlamenten verankert, die FDP ist keine Dame ohne Unterleib mehr.

Nennen Sie eine Messlatte für das FDP-Wahlergebnis?

Wir wollen weiter Platz eins der Bundesländer halten. Unser Ehrgeiz ist, auf die sieben Prozent in den Umfragen noch ein bisschen was draufzupacken.

Die FDP empfiehlt sich auf den Plakaten als Motor. Sie waren aber auch Bremser - zum Beispiel beim Kauf der Steuer-CD.

Für mich war es ausgeschlossen, dass man ein solches Geschäft macht. Dafür bin ich vielleicht zu sehr Justizminister und sehe die Probleme mit dem Datenschutz. Außerdem konnte jeder sehen, dass man zu vertraglichen Regelungen mit der Schweiz kommt, die wir inzwischen ja auch haben. Meine Position wird in der Partei heute weitgehend verstanden und unterstützt.

Beim EnBW-Rückkauf hätten sich Teile der Partei - etwa die Julis - gewünscht, dass Sie auf die Bremse treten. Warum taten sie es nicht?

Es gibt eine schöne Erkenntnis, deren Urheber ich nicht kenne: "Das Alter wägt und misst es, die Jugend sagt: so ist es." Die Julis verkennen, dass der Energiebereich gar kein echter Markt ist, insofern kann man da gar nicht ordnungspolitisch argumentieren. Mir ging es letzten Endes darum: Ich habe erschreckende Beispiele vor Augen, wie man schöne Unternehmen ruiniert, wenn die Gesellschafterstruktur nicht stimmt. Da zuzugucken wäre für mich eine wirkliche Qual gewesen. Darum finde ich den Kompromiss reingehen, gestalten, wieder rausgehen am besten.

Sie galten manchen geradezu als Privatisierungsfetischist. Kratzt es da nicht an der Glaubwürdigkeit, dass Sie nun einer Verstaatlichung das Wort reden?

Ich rede nicht von Verstaatlichung, sondern von Gestaltung. Das Land wird ja nicht an der EnBW beteiligt bleiben. Aber es stimmt: Beim Thema Privatisierung habe ich insgesamt eher ernüchternde Erlebnisse. Man hat da wenig Freunde, selbst wenn man eine sinnvolle Sache macht wie bei der Bewährungshilfe. Dieses Thema ist leider wenig gewollt. Dabei wäre es weiterhin nötig, den Staat von der einen oder anderen Aufgabe zu befreien.

Bei welchen Themen braucht die CDU denn den Motor FDP?

Wenn der CDU-Parteitag beschließt, das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei zu machen, kostet das natürlich Geld. Wir müssen Motor zum Beispiel bei der Haushaltskonsolidierung sein. In der Bildungspolitik kann man einen Motor auch ganz gut gebrauchen: Erst in dieser Koalition hat man angefangen, die Zahl der Ganztagesschulen zu stärken - was am Anfang ein völliges Nonthema für den Partner war.

Sie haben mal gesagt, wenn Ihre Kinder Zeitung lesen könnten, wollten Sie nicht mehr in der Politik sein. Jetzt sind Sie es doch wieder. Wie kam es zu dem Sinneswandel?

(lacht) Ich habe gemerkt, dass die Kinder, wenn Sie lesen können, nicht mehr alles glauben, was in der Zeitung steht. Aber hinter dieser Äußerung steckt schon eine gewisse Problematik: Im Alltag, in der Schule werden die Kinder ein Stück weit mit mir identifiziert, und manche mögen mich halt und manche nicht. Aber sie freuen sich doch überwiegend, dass ich im politischen Geschäft bin. Für den Vierjährigen ist manches noch etwas schwierig zu verstehen. Der kam jetzt schon zweimal und meinte: "Papa, überall hängen Bilder von Dir."

Das Gespräch führte Andreas Müller. 

Zur Person: Motorradfahrer und Rechtslehrer

Mororradfahrer und Rechtslehrer

Funktion Ulrich Goll dreht im Landtag wie im Kabinett seine zweite Runde. Bereits 1998 bis 1992 war der heute 60-Jährige im Parlament, 2006 zog er erneut dort ein. Von 1996 bis Ende 2002 war er - unter Erwin Teufel (CDU) und Walter Döring (FDP) - Justizminister. Er wechselte als Partner in die auf Sanierung und Insolvenz spezialisierte Kanzlei Wellensiek, Grub & Partner, folgte im Juli 2004 seiner Nachfolgerin Corinna Werwigk-Hertneck nach, die wegen der Döring- Affäre zurückgetreten war.

Werdegang Geboren wurde Goll in Überlingen. Er studierte in Freiburg Jura. 1982 wurde er zum Professor an der Staatlichen Fachhochschule Ravensburg-Weingarten ernannt. Er lehrt Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs-, Ehe- und Familienrecht. 1995 bis Mitte 1996 war er Personalleiter beim Südwestfunk in Baden-Baden. 2001 rief Goll das "Projekt Chance" ins Leben, dessen Vorsitzender er weiter ist. Dort können sich straffällig gewordene Jugendliche außerhalb von Gefängnismauern bewähren.

Privatmensch Ulrich Goll ist verheiratet und hat fünf Kinder. Er ist seit seiner Jugend Biker. Auch seine Frau hat den Motorradführerschein gemacht, so dass die beiden gemeinsame Ausfahrten machen - mitunter auch mit Gespann, so dass drei der Kinder mitfahren können. Auch automobilistisch lässt es Goll krachen - seit er sich einen Ferrari-Sportflitzer zugelegt hat. Durch die Schlagzeilen ging er auch, als er öffentlich machte, dass er zwei Schusswaffen besitzt; eine hat er inzwischen abgegeben. tb