Nach dem Finalsieg beim Tennisturnier von Indian Wells gegen John Isner hat Roger Federer neue Ziele. Der Schweizer peilt noch einmal die Nummer-eins-Position in der Welt an.

Indian Wells - Kurz bevor sie in der glitzernden Welthauptstadt des schönen Scheins eine abendliche Showverabredung mit einem wohlbekannten Magier hatte, steuerte Judy Murray, Mutter und langjährige Trainerin des Weltranglistenvierten Andy Murray, noch schnell aus Las Vegas den Spruch zum Tennis-Wochenende bei: „Ich gehe gleich zu David Copperfield. Vielleicht kann er Djoker, Rafa und Roger wegzaubern.“

 

Wenn die umtriebige Mama sich tatsächlich einen aus dem Führungstrio im Welttennis zum wundersamen Verschwinden aussuchen könnte, dann wäre es in diesen Tagen wohl sicher Federer. Der Profi, dem nicht wenige in der vergangenen Dekade selbst zauberhafte Qualitäten zugeschrieben haben, als „Harry Potter der Centre-Courts“ (Guardian).

Ein paar Autostunden vom Sunset Strip entfernt, dort, wo Copperfield zurzeit seiner illusionistischen Kunst nachgeht, lieferte Federer am Sonntagabend handfeste Nachweise seiner Klasse und Durchschlagskraft. „Ich bin extrem stolz auf meine Leistung. Das sind große, wunderbare Gefühle“, sagte der Schweizer, als ihm mit dem 7:6, 6:3 über den Amerikaner John Isner der bereits 19. Masterssieg und der 73. Turniererfolg seiner Ausnahmekarriere gelungen war.

Federer, der älteste Spieler aus dem Kabinett der fabelhaften Vier, ist im Frühling 2012 zugleich auch der zupackendste, erfrischendste und hungrigste der Superstars. Er ist nicht nur der Mann der Stunde, sondern der beständigste Spieler der vergangenen Monate. „Es ist großartig, bei diesen extrem harten Herausforderungen immer noch den Weg bis zu Ende gehen zu können. Bis zu dem Moment, in dem du einen Pokal in die Höhe hältst“, sagte Federer.

Der 30-Jährige hat seit seinem unglücklich verlorenen US-Open-Halbfinale 2011 gegen Novak Djokovic nun 39 seiner letzten 41 Matches gewonnen hat. Und genau jene beiden Rivalen, die seinen Siegeslauf Ende Januar und Anfang Februar kurz unterbrochen hatten, Nadal im Halbfinale der Australian Open und Isner beim Daviscup-Duell der Schweizer mit den USA in Fribourg, schlug der Familienvater nun auf der Zielgeraden im kalifornischen Indian Wells. Ein früher Titelhattrick nach den Siegen in Rotterdam und Dubai.

„Gegen Roger musst du nicht nur dein Bestes geben, sondern zurzeit schon deine Grenzen überschreiten. Dann hast du eine Chance. Vielleicht“, sagte Isner nach dem verlorenen Finale. Im ersten Satz hatte der 207 Zentimeter große Draufschläger tatsächlich eine Chance zur Führung, musste aber miterleben, wie der eiskalte Federer eine Reihe von Satzbällen abwehrte und dann den Tiebreak mit 9:7 für sich entschied. Es war, in einigen verdichteten Momenten, Federer auf der alten und aktuellen Höhe seiner Kunst. Ein Mann, der wie kein anderer so oft und so beeindruckend die wichtigen Punkte erfolgreich spielt. „Wenn du das nötige Selbstbewusstsein hast, die innere Ruhe und diese Zuversicht, dann gelingen dir einfach die schönsten Sachen“, sagte Federer.

Die Hierarchie an der Spitze des Männertennis ist einerseits wie zubetoniert mit den vier Spitzenkräften Djokovic, Nadal, Federer und Murray, die den Rest der Welt mit einer schier unglaublichen Hartnäckigkeit distanzieren. Ein Erstrunden-Ausrutscher wie der von Murray in Indian Wells ist eine seltene Erscheinung. Zugleich ist innerhalb der Viererbande das Machtgefüge eher labil und zerbrechlich, weit mehr jedenfalls als die offiziellen Punktabstände in der Weltrangliste es vermuten lassen. So wirkt Federer wie eine gefühlte Nummer eins, während Djokovic und Nadal zurzeit eher die Verfolgerrolle einnehmen.

Schon beim nächsten Höhepunkt, dem Masters in Key Biscayne in Florida, könnte Federer seinen Widersacher Nadal überholen und auf Platz zwei springen. Bleibt der Schweizer weiter in der Spur könnte er im Spätsommer, nach den US Open, sogar Djokovic überholen – und als alte, neue Nummer eins erscheinen. „Der Weg dahin ist noch sehr weit. Die Unterschiede an der Spitze sind auch nicht wahnsinnig groß, da ist alles möglich – und nichts unmöglich“, sagte Federer, „aber es wäre schon eine kleine Genugtuung, wenn ich das schaffen würde.“ Vor allem, so der Weltranglistendritte, „nachdem ich schon zum müden Tennisopa erklärt worden bin.“