Mit Notfallregeln will die britische Regierung der aktuellen Krise Herr werden. Weil Lkw-Fahrer fehlen, geht den Tankstellen im Land der Sprit aus. Entspannung ist nicht in Sicht.

London - Es mussten die ersten Tankstellen schließen, bis die britische Regierung tätig wurde. Weil Zehntausende Lastwagenfahrer fehlen, sind mittlerweile die Mehrheit der Zapfsäulen ausgetrocknet. Ärzte schlagen bereits Alarm, sie könnten ohne Sprit bald nicht mehr zur Arbeit kommen. Zeitlich befristete Visa für Fernfahrer und andere Ausnahmen sollen nun Abhilfe schaffen, notfalls könnte sogar das Militär einspringen. Doch auf die Schnelle bringt das alles wenig.

 

Seit Tagen kommt es an britischen Tankstellen zu Panikkäufen und langen Schlangen. Hintergrund ist ein gewaltiger Mangel an Lastwagenfahrern, die eigentlich den Kraftstoff von A nach B bringen müssten. Wegen der Corona-Pandemie wurden etliche Fahrstunden und -prüfungen verschoben. Zudem wanderten wegen des Brexits etwa 20 000 vor allem osteuropäische Fachkräfte ab - neue strenge Einwanderungsregeln nach dem Brexit hemmen nun aber den Zuzug.

Auch der Olaf Scholz sieht Zusammenhang zum Brexit

So sehr drückt die Krise den Briten aufs Gemüt, dass sogar Olaf Scholz am Montag von britischen Journalisten in Berlin dazu befragt wurde. Auch der SPD-Kanzlerkandidat sieht einen Zusammenhang zum Brexit. „Wir haben sehr hart daran gearbeitet, die Briten davon zu überzeugen, die Union nicht zu verlassen. Am Ende haben sie sich anders entschieden“, sagte Scholz auf die Frage, ob Deutschland mit Lastwagenfahrern aushelfen könne.

Nach langem und erbitterten Widerstand ließ sich die britische Regierung am Wochenende darauf ein, bis zu 5000 Visa für ausländische Fahrer bereitzustellen. Boris Johnson „hat genug von den schlechten Schlagzeilen und will das geregelt haben“, zitierte die „Financial Times“ einen Insider kurz vor der Ankündigung. Allerdings sind die Visa zeitlich klar auf die Monate bis Weihnachten befristet. Daher ist nun die große Frage: Kommt überhaupt jemand? 

Britische Firmen müssen Fahrern viel bieten

Da auch in etlichen europäischen Ländern, darunter Deutschland, ein Mangel an Fahrern besteht, müssen britische Firmen viel bieten, um überhaupt eine attraktiver Arbeitgeber für wenige Monate zu sein. Ein Vertreter der Federation of Dutch Trade Unions, die Lastwagenfahrer aus ganz Europa vertritt, sagte der BBC am Montag: „Die Arbeitskräfte aus der EU, mit denen wir sprechen, werden nicht für kurzfristige Visa zurückkehren, um Großbritannien aus dem Mist zu helfen, den sie selbst gebaut haben.“

Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng will über die Visa hinaus Wettbewerbsregeln außer Kraft setzen, damit die Branche gemeinsam gegen die Engpässe vorgehen kann und eine Grundversorgung an Benzin und Diesel organisieren kann. Das könnte zumindest den akuten Notstand an der Zapfsäule beheben, ist aber auch keine Lösung für andere Branchen. Dabei sind es fast alle, die dringend auf die Lkw-Fahrer angewiesen sind: Supermärkte können ohne sie ihre Regale nicht füllen, Spielzeug-Hersteller fürchten um das Weihnachtsgeschäft und einigen Pub-Ketten geht das Bier aus. „Alles, was wir in Großbritannien haben, kommt auf der Ladefläche eines Lkws zu uns“, betonte Rod McKenzie von der Road Haulage Association.

Das Militär sei auch „kein Allheilmittel“

Dass Soldaten die Tanklaster bald durch britische Straßen steuern könnten, wird im Londoner Regierungsviertel zwar diskutiert, aber bislang noch nicht umgesetzt. Das Militär sei auch „kein Allheilmittel“, sagte Brian Madderson von der Petrol Retailers Association in einem BBC-Interview. Es gehe nicht nur darum, die Tanklaster zu fahren, sondern auch zu befüllen - und dies sei keine einfache Aufgabe, sondern eine Tätigkeit, die man lernen müsse.

Nach Angaben des Branchenverbands Petrol Retailers Association, der rund 5500 unabhängige Tankstellen vertritt, haben derzeit zwei Drittel der Mitglieder keinen Kraftstoff mehr. Die Nachfrage habe am Wochenende um bis zu 500 Prozent höher gelegen, sagte Verbandschef Madderson. 50 bis 90 Prozent der Tankstellen seien leer, die anderen drohten bald auszutrocknen.

Konservative Regierung betonte erneut, dass es keinen Mangel gebe

„Von der Logistik zum Gastgewerbe, von Kultur zum Bausektor fürchte ich, kann man nun sehen, wie die Regierung erntet, was sie mit einem harten Brexit gesät hat“, sagte der Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan von der Labour-Partei, am Montag in Brighton. „Man kann nicht fünf Jahre lang über die EU und EU-Bürger herziehen und dann erwarten, dass sie zurückkommen und uns aushelfen.“

Die konservative Regierung in London betonte zu Wochenbeginn erneut, es gebe keinen Mangel an Kraftstoff. Alle Bürger müssten nur damit aufhören, Panikkäufe zu machen und wieder nur so viel tanken, wie sie bräuchten. Dann werde sich die Lage wieder beruhigen, hieß es aus der Downing Street. Ähnlich dann auch der Appell aus der Ölbranche: „Wir rufen alle dazu auf, Kraftstoff so zu kaufen, wie sie es normalerweise machen würden“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung von BP, Esso, Shell und anderen Firmen. Es gebe genug Kraftstoff. Nach Einschätzung der Branche wird der Druck nachlassen, weil bereits viele Autos mit mehr Kraftstoff als üblich versorgt seien.