Mit der vor mehr als sechs Jahrzehnten begonnenen Rebflurbereinigung wurde am Kappelberg nicht nur der Grundstein für Spitzenweine gelegt, sondern den Erzeugern auch ein auskömmliches Arbeiten ermöglicht.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Fellbach - Beim Fellbacher Herbst werden am Wochenende wieder Gäste aus nah und fern die guten Tropfen vom Kappelberg genießen. Doch es ist gar keine Selbstverständlichkeit, dass in Fellbach noch Weinbau im bekannten Umfang betrieben wird – und den örtlichen Erzeugern regelmäßig ein Spitzenniveau bescheinigt wird. Im Gegenteil: Sowohl die Qualität als auch die Sortenvielfalt der Weine vom Kappelberg sind nicht zuletzt auch einer Maßnahme zu verdanken, die unter Fellbachs Wengertern höchst umstritten war.

 

Die vor mehr als sechs Jahrzehnten begonnene Rebflurbereinigung verändert den Kappelberg

Die vor mehr als sechs Jahrzehnten begonnene Rebflurbereinigung veränderte nicht nur das Gesicht des Kappelbergs. Sie ebnete auch einem wirtschaftlichen Weinbau den Weg – und trug entscheidend dazu bei, dass sich jüngere Generationen auch heute noch bewusst entscheiden, die Familientradition fortzusetzen und im elterlichen Betrieb den Buckel krumm zu machen. Denn die steilen Lagen am 469 Meter hohen Fellbacher Hausberg sind nicht nur von der Sonne verwöhnt, sondern vor allem schweißtreibend. Steigungen jenseits der 30-Prozent-Marke kennzeichnen die Rebhänge. Ohne die Möglichkeit, sich mit einem Maschineneinsatz die Arbeit etwas zu erleichtern, würde wohl so mancher Wengerter dankend abwinken. Erhard Heß, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Fellbacher Weingärtner, brachte es vor Jahren auf den Punkt: „Früher verbrachte man aufs Jahr gerechnet für einen Hektar bis zu 3000 Stunden im Weinberg, heute sind es im flurbereinigten Gelände rund 600 Stunden“, rechnet er vor. In Kauf nahmen die Wengerter für die Reduzierung der Arbeitszeit, dass sich der Charakter des Kappelbergs verändert hat. Geprägt war die Weinbau-Landschaft früherer Tage von zahllosen Mauern und Querterrassen, es gab Wasserstaffeln und Weinberghäuschen. Auf dem Luftbild aus dem Jahr 1955 ist gut zu erkennen, dass die im Südwesten über Jahrhunderte geltende Realteilung im Erbrecht am Kappelberg für einen Flickenteppich kleiner, ja geradezu zerrissener Grundstücke gesorgt hatte.

Sichtbar wird , dass es mit Wirtschaftswegen damals nicht allzu weit her war

Und: Sichtbar wird auch, dass es mit Wirtschaftswegen nicht allzu weit her war. Dass die wenigsten Rebhänge mit Kuhgespannen angefahren werden konnten, bedeutete für die Weinbauern, sämtliche Gerätschaften auf dem eigenen Rücken in den Weinberg tragen zu müssen. Trotzdem war – Otto Linsenmaier beschreibt es in seiner bekannten „Chronik der Fellbacher Weingärtner“ – große Überzeugungsarbeit notwendig, um die Fellbacher Wengerter auf die Flurbereinigung einzuschwören. Die Vorstellung, gesunde Reben mit der Hacke aus der Erde reißen zu müssen, stieß auf wenig Gegenliebe. Die Reblaus war am Kappelberg kein Problem. Und selbstredend stießen sich die Wengerter daran, nicht nur Ernteausfälle verkraften, sondern auch zwei Drittel der Umlegungskosten von etwa 10 000 Euro pro Hektar schultern zu müssen. Erst Alfred Pfander überzeugte die Berufskollegen, Abschied von den engen Rebzeilen und Drei-Schenkel-Erziehung zu nehmen. Begünstigt wurde die Flurbereinigung durch die Erde, die aus Stuttgart kam. Beim ersten Abschnitt der Modernisierung wurden täglich 300 Lastwagen von den Baustellen für das Postamt am Hauptbahnhof und den Süddeutschen Rundfunk nach Fellbach gekarrt. Zu den 800 000 Kubikmetern Erdaushub gesellte sich später der Gipskeuper, der beim Bau der B 312 und des Kappelbergtunnels ans Tageslicht kam. Die virusfreie Erde bewirkte eine enorme Bodenverbesserung, die neu gepflanzten Pfropfreben und insgesamt 28 Kilometer befestigte Wege, vier Wasserrückhaltebecken und 22 Kilometer Wasserablauf zahlten sich aus. Vor allem aber wurden die Rebzeilen konsequent zur Sonne hin ausgerichtet und mit einer zwei Meter breiten Fahrgasse versehen. Die Flurbereinigung begann 1954 im Semlis, vier Jahre später war die Riesling-Lage Wetzstein an der Reihe. Es folgten 1964 Hölder und Lämmler, 1969 war der Hintere Berg dran. Zum Schluss, nach einer Pause von über zwölf Jahren, wurde der Goldberg mit fast 60 Hektar in Angriff genommen. Die allein vier Millionen Euro teure Einzelmaßnahme wurde 1999 sogar „als herausragendes Beispiel einer gelungenen Flurbereinigung“ im Rahmen des Landesentwicklungswettbewerbs prämiert. 2001 kam dann noch ein „Nachzügler im Gewann Brühl“ mit 1,4 Hektar hinzu. „Der Kappelberg hat seine Runzeln verloren, aber sein Gesicht bewahrt“, sagen die Wengerter.