Seit November ist sie an anderthalb Tagen in der Woche in Betrieb: In Spiegelberg ist die landesweit erste Fernbehandlungs- und Diagnose-Einrichtung eröffnet worden – und wartet allerdings noch auf ihren ersten Patienten.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Spiegelberg - Schon seit mehreren Jahren hat die gut 2100 Einwohner zählende Gemeinde Spiegelberg keinen Hausarzt mehr. Alle Bemühungen des Bürgermeisters Uwe Bossert, einen Allgemeinmediziner in das idyllische Örtchen mitten im Schwäbischen Wald zu locken, scheiterten. Wer sich untersuchen lassen will, muss runter ins Tal, nach Sulzbach oder Oppenweiler.

 

Das ist seit ein paar Wochen nicht mehr nötig, denn Spiegelberg hat wieder eine Hausarztpraxis – allerdings ohne Arzt. Im Sprechzimmer sitzt donnerstagvormittags und freitags die medizinische Fachkraft Susanna Euerle, aus dem rund zehn Kilometer entfernten Nachbarort Oppenweiler schaltet sich Doktor Jens Steinat per Videokonferenz zu. Töne aus dem Stethoskop oder Nahaufnahmen einer Handkamera erhält er direkt über eine Internetverbindung.

Vorbehalte bei potenziellen Patienten

Oder zumindest könnte – denn noch wartet Susanna Euerle auf ihren ersten Patienten. Die Spiegelberger seien ein wenig skeptisch, sagt die 58-Jährige erfahrene Fachkraft, die zuletzt lange Jahre als Bereichsleitung in einem Backnanger Pflegeheim gearbeitet hat, wo auch der Kontakt zu Dr. Steinat zustande kam. Beim Seniorenturnen, wo Euerle für das neue Angebot geworben hat, seien kritische Stimmen laut geworden. Andere könnten sich nicht vorstellen, wie das Ganze funktionieren soll. „Selbst meine Nachbarin hat mich gefragt, ob sie da etwa ihren Computer mitbringen müsste.“

Auch für den Betreiber, das Heidelberger Unternehmen Philon-Med, ist die Fernbehandlungs- und Diagnosepraxis, die als Modellprojekt vom Bund finanziell unterstützt wird, Neuland. Viele Dinge mussten völlig neu ausgehandelt werden. Etwa die Haftpflichtversicherung der medizinischen Fachkraft. Denn eine Konstellation, in der eine solche bei der Betreibergesellschaft und nicht bei dem behandelnden Arzt angestellt ist, hat es bisher noch nicht gegeben. Manche Dinge, die eigentlich problemlos in der Ohne-Arzt-Praxis erledigt werden könnten – etwa das Ansetzen eines EKG, Verbandswechsel oder Blut- und Urinabnahmen – werden von den zuständigen politischen Gremien zumindest vorerst noch abgelehnt.

Fünf Haus- und fünf Fachärzte sind das Ziel

Telemedizinisch wäre vieles möglich, sagt Tobias Gantner, der Gründer von Philon-Med, selbst Arzt, Jurist und Gesundheitsökonom. Er schwärmt von den Möglichkeiten, die Technik, digitale Übertragungswege und Vernetzungsvarianten schon heute böten, betont aber gleichzeitig: „Wir wollen den Doktor nicht ersetzen, sondern vielmehr die Ärzte zu den Patienten bringen.“ Das langfristige Ziel ist laut Florian Burg, dem Spiegelberger Projektleiter bei Philon-Med, fünf Haus- und fünf Fachärzte unterschiedlicher Disziplinen an die Ohne-Arzt-Praxis anzubinden. Dazu freilich müssen die Patienten erst einmal bereit sein.

Susanna Euerle ist das längst. Sie fiebert ihrem ersten Patienten entgegen, der weiteren dann die offenkundig noch vorhandenen Schwellenängste nehmen könnte. Der Vorteil, zunächst sie zu besuchen, statt sich direkt auf den Weg nach Oppenweiler zu machen, liegt für die examinierte Krankenschwester auf der Hand. Denn so könnten vor Ort Dinge erledigt werden, die auch in einer Praxis mit physisch vorhandenem Arzt nicht zwangsläufig von diesem gemacht würden: die Erhebung allgemeiner Daten wie Größe, Gewicht, Temperatur oder die Puls- und Blutdruckmessung. Viele andere Dinge könnten dann via Video- und Datenleitung auch mit örtlichem Abstand vom Arzt untersucht werden. Susanna Euerle ist dabei die verlängerte Hand des Doktors, dem live Herz und Lungentöne oder Darmgeräusche über ein elektronisches Stethoskop zugespielt werden. Auch Live-Aufnahmen mit diversen Spezialkameras – Dermatoskop, Otoskop, allgemeine Untersuchungskamera – seien möglich.

Ein zweites Pilotprojekt im Hohenlohischen

Sollten dabei Befunde herauskommen, die einer weiteren Untersuchung oder Behandlung bedürfen, werde der Patient natürlich direkt zum Hausarzt geschickt. Aber auch der umgekehrte Weg ist möglich: Ist ein Patient in Oppenweiler behandelt worden, kann er sich unter Umständen den Weg zur Kontrolluntersuchung sparen und das in Spiegelberg erledigen.

Mit dem Pilotprojekt in Spiegelberg und einem zweiten, demnächst anlaufenden im hohenlohischen Zweiflingen „möchten wir zeigen, dass die medizinische Versorgungssituation in ländlichen Regionen mit diesem Ansatz verbessert werden kann“, sagt Florian Burg. Zuvor allerdings müssen sich die Spiegelberger und die Zweiflinger noch einen kleinen Ruck geben und es ausprobieren.