In Spiegelberg geht demnächst ein Fernbehandlungs- und Diagnostikzentrum an den Start, in das bei Bedarf ein Allgemeinmediziner aus dem Nachbarort per Video zugeschaltet wird. Das Bundeslandwirtschaftsministerium erhofft sich ein Vorbild für andere ländliche Kommunen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Spiegelberg - Nach jahrelanger Suche hat Spiegelberg demnächst wieder eine Hausarztpraxis – allerdings eine ohne Arzt. Im Sprechzimmer wird eine medizinische Fachangestellte sitzen, der Doktor wird sich aus dem rund zehn Kilometer entfernten Nachbarort Oppenweiler per Videokonferenz zuschalten. In einer Veranstaltung in der örtlichen Gemeindehalle ist das bundesweit in seiner Form bisher einmalige Modellprojekt jetzt vorgestellt worden.

 

Ein fehlender Pressesprecher ist das geringste Problem

Das Interesse der Medien sei riesengroß in diesen Tagen, sagt Uwe Bossert, der Bürgermeister der gut 2100 Einwohner zählenden Gemeinde mitten im Schwäbisch-Fränkischen Wald. Sogar das Fernsehen habe den Weg in den „äußersten Außenposten der Region Stuttgart“ gefunden – aber wehe, er habe kurz keine Zeit für ein Interview gehabt. „Die haben nach meinem Pressesprecher gefragt…“, sagt der Mann, der das Rathaus seit 16 Jahren leitet, und zieht mit einem Grinsen die Augenbrauen hoch.

Ein Pressesprecher ist für Bossert wohl das kleinste Puzzleteil fehlender Infrastruktur – und eines, auf das er bewusst verzichtet. Seit etwa sechs Jahren treibt den Schultes vielmehr die Sorge um die medizinische Versorgung im Ort um. Nachdem ein Allgemeinmediziner aus dem benachbarten Wüstenrot seine stundenweise Präsenz im Rahmen einer Nebenbetriebsregelung aufgegeben hatte, ist Spiegelberg in Sachen Hausarzt ein weißer Fleck auf der Karte. Sämtliche Bemühungen, einen Mediziner zur Niederlassung in der Gemeinde an der Idyllischen Straße zu bewegen, scheiterten. Mittlerweile ist Bossert überzeugt: „Der Landarzt ist ausgestorben und kommt nicht mehr wieder.“ Und das gelte nicht nur für Spiegelberg: „Das wird auch vielen, vielen anderen Gemeinden so gehen.“

Bundeslandwirtschaftsministerium hofft auf ein Best-practice-Modell

Dieser Auffassung ist man offenbar auch im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Behörde fördert das Projekt das ländliche Fernbehandlungs- und Diagnostikzentrum finanziell und ideell. Man hoffe, in Spiegelberg und Zweiflingen im Hohenlohekreis, wo ein ähnliches Projekt an den Start gehen soll, Best-practice-Modelle entwickeln zu können, die dann auf andere ländliche Gemeinden übertragen werden könnten, sagt Klaus Heider, der Abteilungsleiter ländliche Entwicklung und digitale Innovation im Ministerium. Denn auch er hält die ländliche Hausarztpraxis heutiger Prägung für ein Auslaufmodell.

Die technische Umsetzung hat das Heidelberger Unternehmen Philon-Med übernommen. Dessen Gründer Tobias Gantner, selbst Arzt, Jurist und Gesundheitsökonom, bemüht sich seit einiger Zeit um die Erlaubnis, eine solche Ferndiagnosepraxis betreiben zu dürfen. Er schwärmt von den Möglichkeiten, die Technik, digitale Übertragungswege und Vernetzungsvarianten schon heute böten, betont aber gleichzeitig: „Wir wollen den Doktor nicht ersetzen, sondern vielmehr die Ärzte zu den Patienten bringen.“

Allgemeinmediziner Steinat: Modell Landarzt ist nicht tot

Diesen Part wird in Spiegelberg zunächst Jens Steinat übernehmen. Der Allgemeinmediziner betreibt zusammen mit seiner Frau in der Nachbargemeinde Oppenweiler eine Praxis. Ein Grund, dass er sich für das Projekt entschieden habe sei, dass er schon jetzt Nachbargemeinden mit geringer Arztdichte mit versorge, ein anderer, dass er mithelfen wolle, eine zeitgemäße medizinische Versorgung im ländlichen Raum aufzubauen, sagt Steinat. Dies bedürfe seiner Ansicht nach aber nicht nur einer Öffnung gegenüber neuen technischen Möglichkeiten, sondern auch einer Verbesserung der Rahmenbedingungen, also einer Entwirrung des „Vorschriftendschungels“. Steinat: „Ich halte das Modell Landarzt nämlich nicht für tot.“

Die Telemedicon-Praxis

Prinzip
Das Spiegelberger Fernbehandlungs- und Diagnostikzentrum wird von einer medizinischen Fachangestellten geleitet, die alle Aufgaben übernimmt, für die kein Arzt notwendig ist – Blutdruck und Puls messen, EKG, Laborproben entnehmen, Verband wechseln oder ähnliches. Bei Bedarf wird der Arzt Jens Steinat per Video aus Oppenweiler zugeschaltet. Steinat will nur Patienten fernbehandeln, die er zuvor auch persönlich betreut hat und sich vor allem Anfahrten zur Nachsorge sparen.

Ziel
Die Vorstellung des Betreibers Philon-Med ist, das Prinzip auch auf andere Haus- und Fachärzte auszuweiten. Es gibt beispielsweise schon eine Anfrage eines Lungenspezialisten aus Nordrhein-Westfalen.

Start
Für das Projekt müssen noch letzte (datenschutz-)rechtliche Dinge und Versicherungsfragen abgeklärt werden. In den kommenden Wochen aber soll es losgehen.