Ein Arte-Film erzählt von Kriegsverbrechen in Afrika. Es geht um die juristische Aufarbeitung der Gräuel in der Zentralafrikanischen Republik. Der Film ist ein einmaliger Einblick in die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Stuttgart - Man braucht einen Hammer, um einen Nagel einzuschlagen. Aber welche Werkzeuge braucht man, um die Weltgeschichte zu verändern? Manche Optimisten glauben, mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sei ein solches Werkzeug gefunden. Der Strafgerichtshof soll Verantwortliche für Kriegsverbrechen, für Völkermorde, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit für und Verbrechen der Aggression gegen souveräne Staaten zur Verantwortung ziehen.

 

Konzept, Konstruktion und Praxis dieses Gerichts aber sind, wen wundert es, heftig umstritten. Seine Arbeit, vor allem die Recherchen der Ankläger, sollte daher lange ohne die Aufmerksamkeit von Film- und Fernsehkameras abgewickelt werden. Dem Vorwurf der medialen Skandalisierung und Vorverurteilung wollte man sich nicht aussetzen. Für die Dokumentation „Carte blanche“, die am Dienstagabend auf Arte zu sehen sein wird, hat das Gericht aber erstmals eine Ausnahme gemacht.

Die erfahrene Schweizer Dokumentarfilmerin Heidi Specogna („Tania La Guerillera“, „Das Schiff des Torhüters“) hat, unterstützt von ihrer Co-Autorin Sonja Heizmann, die an der Filmakademie in Ludwigsburg unterrichtet, einen Gerichtsmediziner und einen Rechercheur in die Zentralafrikanische Republik begleitet. Die Beauftragten der Anklage haben dort nach Zeugen und Spuren der Plünderungen, Morde und Massenvergewaltigungen der Jahre 2002 und 2003 gesucht. Damals musste sich Zentralafrikas Präsident Ange-Félix Patassé eines Putschversuchs erwehren und rief die Privatarmee des kongolesischen Oppositionspolitikers Jean-Pierre Bemba über die Grenze zu Hilfe.

Ein Blick in eine Vorverhandlung

Bembas Soldaten sollen Gräuel nicht aus Disziplinlosigkeit verübt haben, sondern in Umsetzung einer Strategie des Terrors: „Carte blanche“, völlig freie Hand, habe Bemba seiner Truppe gegeben, so der Vorwurf der Ankläger beim Internationalen Strafgerichtshof.

Specogna zeigt ein wenig Büroalltag des Anklageteams in Den Haag, lässt die Ermittler zu Wort kommen und filmt eine Vorverhandlung. Die soll klären, welche der von der Anklage präsentierten Fälle so weit mit Beweisen unterfüttert sind, dass sie in eine Hauptverhandlung gegen den im Mai 2008 verhafteten Bemba übernommen werden können. Es gibt ein paar kurze Szenen mit Bembas Verwandten und Parteifreunden, die zur Unterstützung angereist sind. Bemba selbst aber sieht man nur im Gerichtssaal. Sein Mienenspiel steckt meist voll Verachtung für die Anklägerinnen, manchmal wirkt es sogar höhnisch.

„Carte blanche“ ist also durchaus ein parteiischer Film. Aber diese Parteilichkeit darf man nicht vorschnell als „gegen Bemba“ definieren. Zunächst einmal ist es eine Parteilichkeit für die Opfer. Specognas Film gibt der Leidensstatistik afrikanischer Kriege wieder individuelle Gesichter, klare Stimmen, präzise Einzelschicksale. In einer Folge erschütternder Berichte wird nicht nur klar, was da geschehen ist, sondern welche Spätfolgen es für die Überlebenden noch lange haben wird.

Der Schmerz von der Schusswunde

Man sollte sich „Carte blanche“ schon des Begreifens wegen anschauen, was den Opfern die Verurteilung eines Strippenziehers bedeuten würde. Es wäre in ihren Augen die Anerkennung, dass ihnen tatsächlich Unrecht widerfahren ist, dass sie die Opfer planender Bosheit waren und nicht einfach von einem ominösen Sturmwind der Geschichte erfasst wurden. Die eindringlichste Filmszene ist wohl die Behandlung eines Jungen, dessen Schusswunde nach Jahren noch nicht verheilt ist. Seine Familie hat kein Geld für die Medikamente , die der Arzt empfohlen hat. Das tägliche Reinigen der Wunde mit Pflanzensaft ist eine schmerzhafte Tortur, die das Kind brüllen und um Gnade betteln lässt.

Aber dieser Film, dessen Macherinnen auf jeden eigenen Kommentar auf der Tonspur verzichten, bekommt die frustrierende Problematik des Haager Verfahrens nur ansatzweise zu fassen. Was Ankläger und Kamera präsentieren, mag uns davon überzeugen, dass 2003 in der Zentralafrikanischen Republik Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. In Den Haag aber muss zweifelsfrei bewiesen werden, dass Jean-Pierre Bemba direkt für sie verantwortlich war. Auch „Carte blanche“kann dafür keine Belege auffahren und endet mit einem Aufschiebemanöver der Verteidigung im Jahre 2010. Bis heute ist man einer Verurteilung von Jean-Pierre Bemba nicht viel näher.