Zum ersten Mal in der Geschichte hat RTL 2 mit seinen News mehr jüngere Zuschauer erreicht als die Tagesschau. Das Erfolgsrezept ist so simpel wie clever: Der Sender holt das Publikum dort ab, wo es steht.

Stuttgart - Sie sahen so zart und unschuldig aus, doch sie provozierten einen Kulturschock: Welpen. Polizisten hatten sie auf der Autobahn bei Schweinfurt im Kofferraum eines Autos mit tschechischem Kennzeichen entdeckt. 78 Hundebabys, zusammengepfercht wie Sardinen in der Büchse. Tierische Schmuggelware.

 

Der Sender RTL 2 hielt die Nachricht für so relevant, dass er sie am 9. Juli in die Ankündigung seiner 20-Uhr-News packte. Die Bilder der tapsigen Hundebabys schafften es auf Platz zwei, nach der Meldung vom umstrittenen Freispruch des Todesschützen George Zimmerman in den USA, aber noch vor dem Seitensprung des Formel-1-Gewinners Sebastian Vettel: „Statt in einen Formel-1-Wagen steigt Sebastian Vettel in eine Seifenkiste.“ Das wäre nicht weiter berichtenswert, wenn RTL 2 an diesem Abend nicht etwas gelungen wäre, was Feuilletonisten in einen mittelschweren „Kulturschock“ versetzen könnte. In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen hängte der Privatsender die „Tagesschau“ ab, zum ersten Mal in seiner zwanzigjährigen Geschichte. 720 000 Zuschauer schalteten die RTL 2-News ein, 50 000 mehr als den Platzhirsch im Ersten.

Als Asi-TV verschrien, jetzt auf Erfolgskurs

Die Meldung warf ein Schlaglicht auf einen seit zwei Jahren anhaltenden Trend: RTL 2, als Asi-TV verschrien, segelt auf Erfolgskurs. Während die große Schwester RTL und die anderen Privatsender unter Quotenschwund leiden, legt RTL 2 zu. Seit 2011 konnte er seinen Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen von 5,5 Prozent auf 6,6 Prozent steigern.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass zu diesem Erfolg ausgerechnet zwei junge Formate beigetragen haben, deren Protagonisten so aussehen, wie man sich die Zuschauer der RTL 2-News vorstellt: großflächig tätowiert, verbal inkontinent und nur sekundär daran interessiert, was außerhalb ihres Mikrokosmos zwischen Mikrowelle und Muckibude passiert. Es geht um „Berlin – Tag und Nacht“ und „Köln – 50667“, also um Geschichten von Laiendarstellern, die den Alltag in fiktiven Wohngemeinschaften simulieren. Diese beiden Formate laufen direkt vor den RTL 2 News um 18 und 19 Uhr und erreichen in Spitzenzeiten rekordverdächtige Marktanteile von bis zu 25 Prozent. Und bei RTL 2 macht man keinen Hehl daraus, dass die Nachrichten vom Erfolg dieser Sendungen profitieren. Der Nachrichtenchef Jürgen Ohls spricht von einem idealen Vorlauf.

Daraus jedoch zu schließen, dass der Horizont der News-Konsumenten ähnlich beschränkt sei wie jener der WG-Bewohner-Darsteller, ist ein Trugschluss. „15 Prozent der Zuschauer haben Abitur oder einen Hochschulabschluss“, heißt es bei RTL 2. Und das Vorurteil, dass sich die 14- bis 49-Jährigen nicht für Politik interessieren, kann RTL-2-Nachrichtenchef Jürgen Ohls glaubwürdig ausräumen. Die Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas, Proteste in der Türkei, Bürgerkrieg in Syrien – solche Themen seien für jüngere RTL-2-Zuschauer sehr wohl relevant, versichert er: „Es funktioniert aber besser, wenn jüngere Protagonisten zu Wort kommen.“ Mit ihnen könnten sich die Zuschauer identifizieren. Die interessierten sich nämlich mehr für syrische Jugendliche, denen eine Scud-Rakete in den Hof geflogen sei, als für die Frage, welche Entscheidungsmuster dem Bürgerkrieg zugrunde lägen.

Einfache Sprache, schnelle Schnitte

Die „Tagesschau“ und das „heute journal“ stehen vor derselben Herausforderung: Wie bricht man die wichtigsten Ereignisse des Tages so herunter, dass sie a) alle verstehen und der Zuschauer b) noch etwas erfährt, was er nicht schon längst aus dem Internet weiß?

RTL 2 setzt auf eine einfache Sprache, schnelle Schnitte und Musik als Untermalung für bunte Beiträge – und auf den Nutzwert. Ohls sagt, wenn der deutsche Innenminister keine neuen Erkenntnisse zu den NSA-Spähprogrammen von seiner USA-Reise mitbringe, gebe man den Zuschauern lieber Tipps: „Wie kann man sich im Internet unsichtbar machen?“

Nachrichten für Junge, von Jungen gemacht. Dass die Redakteure Anfang bis Mitte dreißig sind, erleichtert RTL 2 den Brückenschlag. „Wir räumen mit dem Vorurteil auf, dass man graue Haare haben muss, um Nachrichten zu machen“, sagt Ohls, 52, mit Blick auf die „Tagesschau“. Die hat seit 1992 nicht nur die Hälfte ihrer Zuschauer, sondern auch den Nachwuchs aus dem Blick verloren. Ohls sagt, um die 14- bis 49-Jährigen zu erreichen, müsse man ein Netz mit einer anderen Struktur in das Meer von Nachrichten werfen: „Da bleiben dann nicht weniger, sondern andere Nachrichten hängen.“ Wohl wahr. Ein MTV-Award für Britney Spears hat es noch nicht in die „Tagesschau“ geschafft. „Weltpolitisch“, sagt Ohls, „ist der Award nicht relevant“ – und dann versetzt er der „Tageschau“ noch einen Seitenhieb: „Die Lottozahlen sind das allerdings auch nicht.“