Im Stadtpalais wurde der 250. Geburtstag von Georg Wilhelm Friedrich Hegel gefeiert. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn hielt eine feierliche Rede auf den Weltphilosophen. Experten rissen Inhaltliches aus Hegels Werk an.

Stuttgart - Seit zwei Wochen feiert Stuttgart, nämlich den Geburtstag des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der hier in der heutigen Eberhardstraße 53 vor 250 Jahren als Sohn einer württembergischen Beamtenfamilie geboren wurde. Seit 1991 befindet sich in diesem Haus aus dem 16. Jahrhundert das „Museum Hegel-Haus“, das am 27. August, dem Geburtstag des Philosophen, mit einer neu konzipierten Dauerausstellung wieder eröffnet wurde. Ihren Höhepunkt und Abschluss fanden die Feierlichkeiten am Donnerstagabend mit einer Festrede von Oberbürgermeister Fritz Kuhn und einer Diskussionsrunde mit vier Hegelspezialisten im Stuttgarter Stadtpalais am Charlottenplatz. Coronabedingt fand die Veranstaltung im Foyer des Stadtmuseums nur vor einer kleinen Anzahl von geladenen Gästen statt, alle übrigen mussten sich mit einer Videoübertragung auf Youtube und Facebook zufrieden geben. Für die Anwesenden aber war es ein Vergnügen, in diesen digitalen Zeiten als Umrahmung des Abends endlich einmal wieder Live-Musik zu hören: das Stuttgarter Hegel Quartett spielte Quartettsätze von Haydn und Mozart. Beethoven wäre vielleicht noch passender gewesen, gilt er doch als der dialektische Komponist schlechthin, gewissermaßen als der Hegel der Musik.

 

Neues Stuttgarter Bewusstsein für den „Weltphilosophen“

Das neu gestaltete Museum im Hegel-Haus solle den Philosophen noch stärker im Bewusstsein der Stuttgarter Öffentlichkeit verankern, betonte die Museumsleiterin Christiane Sutter, die durch den Abend führte. Auch Oberbürgermeister Kuhn war es wichtig, den Stuttgartern klarzumachen, dass ihre Stadt nicht nur als Geburtsstunde des Automobils in die Geschichte eingegangen ist und diesem Umstand durch gleich zwei Museen ihren Tribut zollt, sondern auch ein „Weltphilosoph“ wie Hegel zur „Selbstwahrnehmung unserer Stadt“ beigetragen habe. Er verwies dabei auf den Hegel-Preis, den die Stadt seit 1970 alle drei Jahre an Gelehrte aus dem Bereich der Geisteswissenschaften verleiht, wo inzwischen eine „sensationelle Liste“ von internationalen Preisträgern zusammen gekommen sei. Stuttgart könne stolz sein auf seinen Philosophen.

Die Frage, was uns dieser Hegel heute zu sagen hat, überließ Kuhn dann aber klugerweise dem eingeladenen Expertenquartett aus zwei Philosophinnen und zwei Philosophen: Dina Emundts (FU Berlin), Birgit Sandkaulen (Uni Bochum), Axel Honneth (Columbia University New York) und Klaus Vieweg (Uni Jena). Man hätte sich diese Diskussionsrunde internationaler vorstellen können, genießt Hegel doch nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich oder den USA ein hohes Ansehen, wie bedeutende Hegel-Forscher wie Béatrice Longuenesse, Catherine Malabou oder Robert Pippin bezeugen, vom slowenischen Enfant terrible Slavoj Žižek ganz zu schweigen. Aber während der Geist Grenzen überwinden kann, führt das Corona-Virus zu Einschränkungen der Reisefreiheit. Mit Vieweg hatte man immerhin den Verfasser einer Hegel-Biografie, mit Honneth einen Hegel aktualisierenden Sozialphilosophen, mit Emundts die Präsidentin der Internationalen Hegel-Vereinigung und mit Sandkaulen die Leiterin des Hegel-Archivs an der Uni Bochum auf dem Podium sitzen.

„Keine Angst vor Komplexität“

Ob man Hegel mit seiner umständlichen Sprache überhaupt verstehen könne, wollte Christiane Sutter von den versammelten Experten wissen. Schon Adorno, gewiss ein Hegel-Kenner, schrieb einmal: „Im Bereich großer Philosophie ist Hegel wohl der einzige, bei dem man buchstäblich zuweilen nicht weiß und nicht bündig entscheiden kann, wovon überhaupt geredet wird“. Vieweg empfahl als Einstieg Hegels Aufsatz „Wer denkt abstrakt?“, wo der Philosoph sein Denken aus Anekdoten heraus entwickle, Sandkaulen die Einleitung in die „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, Honneth die Einleitung zu den „Vorlesungen über Ästhetik“, wo Hegel vom Alltagsbewusstsein ausgehe. Emundts ermunterte potenzielle Hegel-Leser, „keine Angst vor Komplexität“ zu haben, schließlich sei auch unsere Wirklichkeit komplex.

Wie bei einer solchen Diskussionsrunde nicht anders zu erwarten, konnten die meisten Aspekte von Hegels Denken nur angetippt werden: Hegel als Denker der Freiheit (Vieweg), als Kritiker eines bloß individualistischen Liberalismus der Selbstverwirklichung (Honneth), als Bildungstheoretiker, der begriffen habe, dass ein Bildungsprozess nicht glatt und harmonisch verlaufe, sondern Stadien der Entfremdung, des In-die-Irre-Gehens durchqueren müsse (Sandkaulen). Manchmal müsse man auch mit Hegel gegen Hegel denken, meinte Emundts. Das bezog sich auf Hegels Bestimmung der Rolle der Frau ebenso wie auf den Platz, den der „Neger“ in Hegels Geschichtsphilosophie einnimmt, nämlich die Position eines unmündigen Kindes, das noch nicht in den Prozess der Zivilisation eingetreten ist. Spricht daraus nicht eine kolonialistische Haltung, gar ein Rassismus, die nicht zum Universalismus der Menschenrechte passen, den Hegel als Anhänger der Französischen Revolution sonst vertreten hat? Stoff für weitere Diskussionen gibt es also genug.