Das Produktionskunstfestival „Drehmoment“ bringt Firmen und Künstler zusammen. Das fördert erstaunliche Ergebnisse zutage.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Als Unternehmen denkt man ja immer prozessorientiert. Aber wie armselig wäre die Welt, wenn es keine Künstler gegeben hätte und gäbe“, sagt Milko Konzelmann, Geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Löchgauer Unternehmens für Kunststoffspritzgießprodukte. Milko Konzelmann öffnete deshalb seine Firmentore – für das Produktionskunstfestival „Drehmoment“ der Kulturregion Stuttgart, und im Speziellen für den Berliner Künstler Nándor Angstenberger. Das Konzept des Festivals, an dem sich mehr als 20 Kommunen beteiligen, will es, dass Künstler und Firmen einander begegnen und inspirieren. Die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen gibt für das regionale Festival, das eigentlich im Oktober beginnt, den Startschuss. „Es hat mich neugierig gemacht“, schildert der Unternehmer Konzelmann, warum er sich auf das Experiment einließ.

 

Nándor Angstenbergers ist angetan, wenn er an seine Streifzüge durch die Konzelmann-Hallen zurückdenkt. „Ich hatte carte blanche und durfte mitnehmen, was ich brauchte. Hochwertige Teile, aber auch Abfallprodukte, die bei der Produktion entstehen“, erzählt er. Wobei es für den 47-Jährigen Abfall in diesem Sinne nicht gibt: Schon vor der Begegnung verwendete er Plastikartikel, die andere für Wegwerfware halten, für seine Werke.

Auge in Auge mit dem Roboter

Und so waren die sieben Kisten voller Firmen-Materialien, die ihm schließlich von Löchgau nach Berlin geliefert wurden, ein wahres Füllhorn. Er bastelte aus verschiedenstartigen Kunststoffteilen filigrane, ornamentale Welten. Eine erinnert an utopische, entvölkerte Stadtlandschaften, eine andere zeichnet den Kreislauf des Plastiks nach, „als ein Organismus, der sich ausbreitet“, wie Angstenberger erzählt. Dabei verwischt er die Grenzen zwischen Natur und von Menschenhand Gemachtem: Zum Beispiel baut er am Strand gefundene, vom Meer geschliffene Kachelteile ein.

Der Stuttgarter Lichtkünstler Joachim Fleischer verfolgte bei der Bietigheimer Dürr AG einen anderen Ansatz. Er bekam Zutritt zur Robotermontage des Global Players im Maschinen- und Anlagenbau und lotete ihre Faszinationskraft fotografisch aus. Das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine inszeniert Fleischer in einer Mischung aus Fiktion und Beiläufigkeit. Auch „die Wesenhaftigkeit der Roboter“ habe er zeigen wollen, sagt er. So wirkt manche Szene tatsächlich, als blickten Dürr-Mitarbeiter und Roboter einander tief in die Augen. Die Fotografien sind nur ein Teil des Ganzen: Im Foyer der Dürr AG arbeitet Fleischer an einer Lichtinstallation mit Robotern, die Effizienz, Zeit und Wahrnehmung thematisiert. Zu sehen ist sie dort am 11. Oktober um 18.30 Uhr.

Angekommen in der Arche Atlanta

Der Bietigheimer Firma Atlanta Antriebssysteme begegnete die Berliner Konzeptkünstlerin Pia Lanzinger. „Ich wollte mich nicht mit etwas Produktionsspezifischem beschäftigen, sondern mit der Belegschaft“, erzählt sie. Die Künstlerin, die gern Globales mit Lokalem verknüpft, ließ Migrationsgeschichten von Atlanta-Mitarbeitern in Porträts münden. „Erstaunlich und sympathisch fand ich, wie sehr sie sich mit ihrer Firma identifizieren“, sagt Lanzinger. Sie seien angekommen: Alle, die sie gesprochen habe, wollten bis zur Rente bei dem Unternehmen bleiben. Ihren Part in der Ausstellung betitelt Lanzinger sinnfällig mit „Arche Atlanta“. Sie zeigt mit den Beschäftigten zudem eine „kollaborative Aufführung“ – am 9. Oktober um 19.30 Uhr im Kronenzentrum.

Für die Kuratorin Isabell Schenk-Weininger sind nicht nur die künstlerischen Ergebnisse ein Gewinn, sondern auch die Offenheit der Firmen. „Sie mussten sich ja komplett einlassen auf Künstler, die ihrerseits vorher nicht wussten, was aus der Begegnung entsteht.“ Milko Konzelmann sieht im Dialog mit „seinem“ Künstler auch einen Beitrag zur Verantwortung für eine „schöne, bunte Welt“. Ein solcher Dialog sei in Zeiten, in denen „eigenartige Figuren zu Wortführern werden“, umso wichtiger, findet der Unternehmer.