Das Festival Pop Freaks im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin erforscht Jahr für Jahr die Peripherie der Popkultur. In diesem Jahr besteht diese anscheinend aus Melancholie, Einkehr und bittersüßen Themen.

S-West - Der geschulte Stuttgarter Konzertgänger unterteilt sein Jahr schon lange nicht mehr in Winter, Frühling, Sommer, Herbst. Stattdessen gibt es bei ihm Wohnzimmerkonzerte, Jazzopen, Klinke und Pop Freaks. Die beiden letztgenannten steigen immer im Kulturzentrum Merlin mitten im Westen. Und sind aus dem Konzertkalender nicht wegzudenken. Mehr noch: Sie geben längst das Stimmungsbarometer der nächsten Jahre vor.

 

Während die Klinke bekanntlich das Sommerloch im August mit kostenlosen Konzerten erfolgreich zu schließen vermag, sehen sich die Pop Freaks als seltsamer kleiner Cousin der hochsommerlichen Festivitäten; der Cousin, der irgendwie cool ist, aber absonderliche Klamotten trägt, die Haare seltsam frisiert und mit komischen Typen rumhängt. Ein waschechter Kauz mit eigenwilligen Vorlieben. Klar, das sagt einerseits schon das Wort „Freak“ im Festivalnamen, das nach englischer Bedeutung allerdings eher etwas Abnormes und nicht gerade Nettes beschreibt.

Verlässlicher Barometer für die nächsten Trends

Arne Hübner hingegen hat für den Freak in der Musik, in der Kunst, in uns allen nur lobende Worte übrig. Als Haus-Booker des Kulturzentrums kümmert er sich natürlich auch um die musikalische Auswahl des kleinen, feinen Club-Festivals, hat es in den letzten Jahren zu einem verlässlichen Barometer für die nächsten Trends der abseitigen Popmusik heranreifen lassen. „Für mich persönlich wird es bei der Suche nach einer Band für das Festival erst dann interessant, wenn künstlerisch etwas hängen bleibt – sei es musikalisch, textlich oder optisch“, sagt er. Klar ist aber eben auch: Es reicht nicht, sich mit Christbaumkugeln zu behängen, um als Freak durchzugehen. „Wenn es nur beim Optischen bleibt“, so Hübner, „gilt das sogar eher als Ausschlusskriterium.“

Ein Blick ins diesjährige Programm zeigt dann auch, was der Booker meint, wenn er von Freaks spricht. Nicht unbedingt schrille, extravagante, avantgardistische Kunstfiguren wie Marilyn Manson, Lady Gaga oder KISS sind es, die die Konzertabende mit Leben füllen werden. Sondern reife, aufrichtige, oftmals nicht mal kostümierte Künstler auf der Suche nach Wahrheit.

Hübner sucht das Abgefahrene, das Freakige eben nicht mit der Lupe. Vielmehr weist er darauf hin, dass Pop auch anders geht als das, was wir aus dem Formatradio kennen. Dass Popmusik spannend, aufregend, mutig, neu, fordernd – und vor allem: künstlerisch hochwertig sein kann. Sein darf, sein muss. Und noch etwas ist auffällig: Nach den letzten, durchaus eher schrillen und eklektischen Auftritten kehrt 2019 eine gewisse Grundmelancholie ins Merlin ein. „Die Popkultur ist geprägt von Melancholie“, so Annette Loers, Geschäftsführerin des Hauses und bekennender größter Fan ihres Bookers Hübner. „So ein Pop Freaks hatten wir noch nie.“

Öffnung in Richtung Depression

Ihr Kollege nickt. „Wir haben ganz viel Melancholie im Programm ohne dass wir es bewusst forciert hätten“, sagt Hübner. „Doch das scheint dem Zeitgeist zu entsprechen.“ Und das ist eine dezidiert gute Sache: Endlich greift die Popkultur auch jene Strömungen auf, endlich spiegelt sie die Öffnung der Gesellschaft auch in Richtung Depression, Einsamkeit und psychischer Erkrankungen wider. Vor allem zeigt diese Tendenz, dass ein Festival wie Pop Freaks auch gesellschaftlich relevant ist.

Die angesprochene Melancholie findet sich in der Musik von Jungstötter, einem Debütanten, der am 26. Januar sein Stuttgart-Debüt gibt. Dahinter steckt mit Fabian Altstötter ein Drittel der Landauer Indie-Sensation Sizarr, doch mit denen hat der mittlerweile in Berlin lebende Künstler nichts mehr zu tun. Streicher, Pianos in Moll und dunkler, voller Gesang erinnern eher an Nick Cave und seine Bad Seeds. Die Texte auch.

Acht Abende, acht besondere Bands

Zur Eröffnung am 17. Januar gibt es zuvor verträumten, bittersüßen Electro Pop von Sea Moya, tags darauf die Schweizer Klaus Johann Grobe, die mit ihrem halluzinogenen Pop kurz vor dem Sprung ins Trend-Regal stehen. Am 19. Januar zeigen Tents, dass man auch dann leiden kann wie Joy Division wenn man nicht aus Manchester kommt. Und klar, Evelinn Trouble am 25. Januar, zählt schon jetzt zu den Pflichtterminen. Am 27. Januar, gleichsam als letztes Ausrufezeichen der Melancholie, wird dann Maximilian Hecker seine traurigen, schmerzhaft schönen Lieder singen.

Insgesamt acht Abende, insgesamt acht besondere Bands und Interpreten, die man in dieser Konzentration nicht oft in der Stadt zu sehen bekommt. Das gilt im Übrigen nicht nur für das Pop Freaks als Solitär. Seit Hübner das Booking für das gesamte Haus übernommen hat, ist eine deutliche Profilschärfung erkennbar. Mehr besondere Musik, mehr verheißungsvolle Newcomer, mehr Showcase-Charakter – und weniger soziokultureller Kruschtelkasten. Das kommt beim Publikum gut an, aber auch bei den Stuttgarter Bands. „Mehr und mehr Bands aus der Stadt melden sich bei mir, weil sie auch mal im Merlin spielen möchten“, freut er sich. „Das war früher nicht so.“

Besonders schön zu sehen war das erst kürzlich bei Eau Rouge, die im Merlin die Veröffentlichung ihrer neuen EP gefeiert haben. Und sie werden bestimmt nicht die letzten gewesen sein. Aber jetzt sind erst mal wieder die Pop Freaks angesagt. Ein bittersüßer Jahrmarkt voller wunderbarer, wärmender, besonderer Musik. Genau das Richtige im Januar.