Von morgens bis nachts feiern, seine Lieblingsbands live hören, ausgelassen in der Sonne tanzen: Nirgendwo kann man das so gut wie auf Festivals und das ist auch der Grund warum wir diese Art von Sause schmerzlich vermissen.

Stuttgart – Ein Jahr ohne Festivals? Bitte nicht, war mein erster Gedanke und mein Zweiter: Gut, ein Jahr ohne werde ich schon überstehen. Aus einem wurden zwei und aus Hoffnung erneute Enttäuschung. Bis zuletzt verdrängt, ist es jetzt bittere Gewissheit: Auch diesen Sommer müssen wir uns in Verzicht üben.

 

Ohne Festivals fühlt es sich so an als würde der Sommer einfach ausfallen und wir von Frühling nahtlos in den Herbst übergehen. Klassisches Luxusproblem, keine Frage: Anstatt zu schmollen, wollen wir lieber ein bisschen in Erinnerungen schwelgen: Was ich an Festivals vermisse – eine kleine Liebeserklärung.

Ticketkauf und die Organisation von A bis Z

Da geht’s schon los. Nervöses Kribbeln, wenn der Verkaufsstart der Tickets angekündigt wird, man zig Wecker stellt und sich das Datum fett in den Kalender schreibt, damit man den Tag bloß nicht verpasst. Ewig auf die Unentschlossenen warten. Fast durchdrehen, wenn man in der Warteschlange steckt. Angst haben, dass man am Ende doch kein Ticket mehr bekommt. Sicherheitshalber eins kaufen, auch wenn man noch gar nicht weiß, ob man überhaupt Zeit hat: Adrenalin pur. Auch sonst will so ein Wochende geplant sein. Organisation spielt in der Festival-Saison eine wichtige Rolle. Wann geh ich wohin und welches Festival such ich mir aus, wenn zwei gleichzeitig stattfinden.

Ich sehne mich nach der Zeit, in der eines der größten Probleme war, welche Band man sich als nächstes anhört. Zur Vorbereitung gehört auch: Wochen vorher den Kleiderschrank durchstöbern. Nochmal los gehen, weil zum passenden Outfit noch was fehlt. Anprobieren und alle Pläne wieder umschmeißen. Überlegen, was man noch alles besorgen muss: Sonnencreme, Glitzer, Mückenspray. So kann man das Ganze auch ganz gut zelebrieren: Die Vorbereitung einfach wie Kaugummi ziehen und bis ins letzte Detail planen. Vorfreude ist halt die Schönste.

Daydrinking und Vorglühen – früh anfangen, spät aufhören

Was seit Corona wahrscheinlich auch viel zu kurz kommt: Daydrinking und Vorglühen. Festivals starten für gewöhnlich schon am frühen Nachmittag, manchmal sogar morgens auf dem Zeltplatz. Für den einen oder anderen Langschläfer mag das lästig sein, aber wer früher anfängt, hat länger Zeit. Und warum erst abends loslegen, wenn’s auch schon mittags geht.

Außerdem: Daydrinking macht bei der richtigen Kulisse doppelt so viel Spaß, vorglühen auf dem Zeltplatz oder vor dem Eingang sowieso. Schon alleine weil die Preise meistens Wucher sind. Für Trinken und Essen muss man den Ticketpreis ungefähr mal zwei einkalkulieren. Aber nichts trinken und essen ist halt auch keine Lösung. Kein Bier vor vier zählt hier übrigens nicht und wer seine Prinzipien trotzdem nicht brechen will, steigt eben auf Weinschorle um.

Neue Bekanntschaften und dicht gedrängte Menschenmassen

Einmalige Bekanntschaften trifft man auf Festivals en masse - vor allem beim Anstehen. Klar, kann man sich schönere Dinge vorstellen als lange Schlangen, wenn man gerade fast am verdursten ist oder die Blase drückt. Aber es gibt zwei Dinge, die einfach alle Festivalgänger gemeinsam haben. Jeder trinkt und jeder muss mal. Das eine führt eben zum anderen. Und was daran so toll sein soll, liegt wohl auf der Hand: Nirgendwo führt man unbefangenere Gespräche und nirgendwo schließt man kurzweiligere Bekanntschaften als beim Warten.

Das bis vor zwei Jahren noch niemand an 1,5 Meter Abstand gedacht hat, ist nur schwer vorstellbar - ebenso wie viele Menschen auf einem Haufen. Das ist nicht immer eine angenehme Angelegenheit, wenn man sich darauf konzentrieren muss, zwischen schwitzenden, vielleicht sogar leicht betrunkenen Menschen nicht umgeschmissen zu werden. Im Moment fände ich die Vorstellung eigentlich ganz schön.

Die ausgelassene Stimmung

Kurz mal alle Alltagssorgen vergessen und abtauchen. Jeder ist gut drauf und hat Bock auf ein ausgelassenes Wochenende. Hier zählt nichts außer eine gute Zeit zu haben und unbeschwert zu sein. Was gestern und morgen war, juckt nicht. Gemeinsam Erinnerungen schaffen toppt nichts. Die gute Musik ist da noch das i-Tüpfelchen, obwohl sie nicht das Wichtigste ist: Es gibt nämlich nichts schöneres als so einen "Kurzurlaub" mit seinen Freunden zu verbringen.

WhatsApp-Gruppen-Spam

WhatsApp-Gruppen hat wohl jeder mehr als genug, aber man kann sagen was man will: Auf die eine kommt's dann auch nicht mehr an. Außerdem sind sie praktisch, um im Voraus alles zu planen und vor Ort einen Treffpunkt auszumachen. 1829 der Nachrichten: „Wo seid ihr gerade?“, hoffen, dass man sich wiederfindet, wenn man sich mal aus den Augen verloren oder aufgeteilt hat. Meistens antwortet sowieso niemand, weil der Empfang rar ist oder man sein Datenvolumen schon für Instastorys aufgebraucht hat. Aber der größte Spam kommt sowieso erst wenn alles vorbei ist und jeder seine Selfies und Videos mit der Gruppe teilen möchte.

Post-Festival-Blues

Wenn etwas Schönes zu Ende geht, wird man gerne ein bisschen wehmütig: Man wünscht sich, die Zeit ein Stückchen zurückdrehen zu können, um alles noch einmal zu erleben. Dafür scrollen wir durch unsere Fotogalerie und schwärmen noch wochenlang danach. Im Nachhinein betrachtet ist sowieso alles noch ein bisschen toller. Das einzige, das ein bisschen tröstet: Nächstes Jahr kommt bestimmt und darauf hoffen wir dieses Jahr ganz besonders.