60 Wildbienenarten sind in Stuttgart ausgestorben. Sie sind nur ein Bruchteil des Jahrzehnte langen Insektensterbens. Der Biologe Martin Hasselmann, Professor an der Uni Hohenheim rät zur Agrarwende.

Filder - Die Landeshauptstadt und das Regierungspräsidium haben jüngst mit einer skurril anmutenden Aktion für Gesprächsstoff gesorgt. Sie haben im Weidach- und Zettachwald zwischen Plieningen und Möhringen Hobbyimker aufgefordert, ihre Bienenstöcke zu entfernen, damit die Honigbienen die Wildbienen, die sich im Naturschutzgebiet entfalten sollen, nicht verdrängen.

 

Der Hintergrund der Bienenumsiedlung ist ernst: Die Stadt verweist auf ihrer Internetseite darauf, dass schon 60 von einst rund 270 Wildbienenarten im Stuttgarter Stadtgebiet ausgestorben seien. Dies ist aber nur ein Bruchteil des bundesweit festzustellenden Insektensterbens. Experten für dieses Phänomen findet man natürlich auf den Fildern – an der Universität Hohenheim. Von dort kommen schlechte Nachrichten.

„Den Rückgang gibt es nicht erst seit vorgestern“, stellt Professor Martin Hasselmann vom Institut für Nutztierwissenschaften fest. Seit knapp 20 Jahren beschäftigt sich der studierte Diplombiologe mit sozial organisierten Insekten. „Wir untersuchen aber auch Käfer mit modernen Techniken, denn wir wollen verstehen, wie die Tiere auf ihre Umwelt reagieren, wie sie sich ans Klima anpassen und wie sie auf ihre Umwelt reagieren“, sagt er.

Das große Sterben dauert schon 30 Jahre lang

Über 30 Jahre hinweg, erläutert der Biologe, hätten Hobby-Insektenforscher in verschiedenen Regionen Deutschlands die Bestände gezählt und sie seien 2017 zum Ergebnis gekommen, dass der Rückgang in dieser Zeitspanne 75 Prozent betrage. „Das ist die Hausnummer, die alle Insekten betrifft, mit Folgen für das ganze Ökosystem“, sagt Martin Hasselmann. Es seien eben nicht nur die Bienen und Hummeln, welche die Pflanzen bestäuben, sondern auch Schwebfliegen, zahlreiche Käfer, kurzum alles, was auf Blütenpollen landet und damit zur Bestäubung beiträgt.

Weil die Insekten in der Nahrungskette fehlten, beklagen Ornithologen auch den Rückgang der Vogelpopulation. „Dies betrifft zum Beispiel die Schwalben und die Mauersegler“, sagt der Biologe. Auch viele Fledermausarten, die sich von Insekten ernähren, stünden deshalb auf der Roten Liste aussterbender Tiere.

Bodenversiegelung und häufiges Rasenmähen schaden der Vielfalt

Die Ursachen für den Rückgang sind vielfältig. „Wir wollen überall und bequem hinkommen. Dafür versiegeln wir Flächen. Alte Scheunen und alte Bäume werden seltener, aber auch trockene, magere Böden, die nicht mit Stickstoff oder Gülle gedüngt sind. Insekten kommen mit übermäßig hohen Stickstoffmengen nicht zurecht, deshalb finden sie zu wenig Lebensraum“, sagt der Experte. Außerdem fehle es an Blütenpflanzen. Der Grund: die Wiesen werden zu oft gemäht. „Unter den Insekten gibt es zahlreiche Spezialisten. Eine Art sucht sich nur die Pollen der Glockenblume als Nahrung aus“, sagt Hasselmann. Statt vermeintlich sauber gemähten Wiesen plädiert der Biologe für die „blühende Vielfalt“, die nur dann entstehe, wenn man den Pflanzen genug Zeit lasse auszusamen.

Darüber, wie man der verhängnisvollen Entwicklung entgegensteuern kann, hat Martin Hasselmann klare Vorstellungen: „Wir brauchen eine Strukturvielfalt mit Wiesen, Hecken, Saumstreifen und Flächen, auf denen wir Wildwuchs zulassen.“ Nicht nur die Landwirte, auch die Gartenbesitzer seien gefordert, ihre Flächen nicht allzu intensiv zu nutzen. Außerdem sei die Agrarwende mit weniger Umweltgift, alternativer Bewirtschaftung und Fruchtfolgen erforderlich. „Sie muss politisch gewollt und von der Politik gewünscht werden“, sagt Martin Hasselmann. „Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat von den Wissenschaftlichen Beiräten ihres Ministeriums die erforderlichen Fakten.“

Landwirte zeigen sich aufgeschlossen

Die Landwirte auf den Fildern, sagt Martin Hasselmann, mit denen er ins Gespräch komme, hätten „ein hohes Interesse“ daran, auf einigen Prozent ihrer Flächen Blühmischungen zu säen. „Sie klagen aber über hohen bürokratischen Aufwand. Es muss einfacher für sie werden“, so der Biologe. Moderate Düngung hält er aber für unverzichtbar. „Wir wollen gute regionale Produkte, auch um die Transportwege zu verkürzen. Beim Düngen geht es um das Was und das Wieviel.“ Außerdem brauche der Kunde den Anreiz, für gute Nahrung etwas mehr Geld auszugeben. Die Deutschen, sagt Hasselmann, würden im Vergleich mit ihren europäischen Nachbarn immer noch weit weniger Geld für ihre Lebensmittel ausgeben.