Eine Floskel weicht einem Redakteur bei der Arbeit auf den Fildern fast 40 Jahre lang nicht von der Seite.

Filder - Schreiben Sie was Schönes!“

 

Diesen Satz habe ich im Frühjahr 1977, wenige Wochen nach Beginn meines Volontariats, wie man die Redakteursausbildung bei der Zeitung nennt, zum ersten Mal gehört. Das war beim Häfelesmarkt eines Haushaltswarengeschäfts in Vaihingen, einer Art Ramschverkauf für Ladenhüter. Der Satz war durchaus als Aufforderung gemeint. Die Urfassung meines Berichts ist jedenfalls nicht veröffentlicht worden. Die Floskel hat sich eingebrannt, ist bis dato ein ständiger Begleiter.

„Schreiben Sie was Schönes!“ Heute, fast 40 Jahre später, wünschte ich mir, ich hätte protokolliert, wie oft und bei welcher Gelegenheit dieser Satz gefallen ist. Er ist oft gefallen, und die Meinungen, was denn nun „etwas Schönes“ ist, waren nicht immer deckungsgleich. Ein Beispiel: Ein Redakteursazubi, der in den 80er Jahren über den Umbau eines Ladengeschäfts in L.-E. berichtete, hatte sich besonders viel Mühe gegeben mit seinem Text, in blumigen Worten die unternehmerische Maßnahme beschrieben und den Firmenchef unter anderem wie folgt zitiert: „Neu ist eigentlich nur die Treppe.“ Die gedruckte Aussage stand mit der Erwartung des Unternehmers an seine Aufforderung – schreiben Sie was Schönes! – aber nicht in Einklang.

Manchmal geht’s in die Hosen

Es kommt durchaus vor, dass ein Lokalredakteur etwas Positives, etwas Schönes schreiben will. Aber gerade dann geht es in die Hosen. Dann fehlt ein Buchstabe, der die Aussage ins Gegenteil verkehrt, oder der Name, den man schreiben wollte, steht nicht im Blatt, oder. . . Selbstverständlich bleibt so etwas aufmerksamen Lesern – ja, davon gibt es eine ganze Menge – nicht verborgen. Früher riefen die Erzürnten morgens nacheinander in der Redaktion an. Heutzutage flattert die Kritik meist non-verbal, also per E-Mail und zunehmend in abfälligem Tonfall formuliert, auf den Bildschirm. Erst jüngst hat uns ein Leser auf eine „ungenaue bzw. fehlerhafte Berichterstattung“ im Zusammenhang mit einer kleinen Personalie hingewiesen. Und darauf aufmerksam gemacht, dass wir echte Wiederholungstäter sind: „Schon einmal (27. Oktober 2003) haben Sie fehlerhaft berichtet. . .“, heißt es in der Mail. Asche auf unser Haupt! Aber, ist das nicht eigentlich ein dickes Lob, wenn der letzte Fehler nun schon 13 Jahre zurückliegt?

Heikel ist es nach aller Erfahrung aus vielen Berufsjahren mitunter, einen eingeschickten Vereinsbeitrag journalistisch korrekt aufzuarbeiten. Ein unangenehmer Vorgang bleibt in Erinnerung. Das Telefonat mit dem Vereinschef dauerte länger, und mit der Einlassung, die Filder-Zeitung habe ja nun über das Ereignis berichtet, gab sich der Mann nicht zufrieden. Das sei ja „schon recht, aber wann erscheint mein Bericht?“, fragte er.

Am Wunsch verzweifelt

Hinterfragen müssten wir, wenn wir der Auffassung kritischer Fußballgranden folgen würden, auch unseren Ansatz in der Lokalsport-Berichterstattung. Diese ist im Fall eines Vereins in den vergangenen fünf Jahren bedauerlicherweise oft negativ ausgefallen. Dabei hätten die Funktionäre doch montags so gern etwas Schönes über ihren Klub gelesen. „Schreiben Sie doch mal was Positives!“, wurden wir aufgefordert. Meine Kollegen sind angesichts von drei Abstiegen des Vereins innerhalb dieses Zeitraums an der Erfüllung dieses Wunsches verzweifelt. Sie haben jedoch das einzig Richtige getan: nämlich ungeschminkt geschrieben, was Sache ist.

Überhaupt ist das so eine Sache mit der Erwartungshaltung gegenüber der Lokalzeitung. „Am Samstag müsst ihr uns aber einen Redakteur schicken“, lautet eine beliebte Forderung. Gern wird auch telefonisch übers Sekretariat zur Jubilarehrung ein Fotograf „bestellt“, allerdings nicht auf eigene Rechnung, sondern auf Kosten der Zeitung. Und wehe, der Kollege schreibt wahrheitsgetreu, dass der Saal halb leer und die Stimmung im Keller war. Dann war der Bericht schlecht, hat die Zeitung nichts Schönes geschrieben. Aber dafür das getan, was unserem Berufsethos entspricht: Sachverhalte wahrheitsgetreu zu berichten.

Mit dieser eisernen journalistischen Grundregel hat jeder Praktikant und Volontär in den vergangenen Jahrzehnten bei der Filder-Zeitung Bekanntschaft gemacht. Offenbar nicht erfolglos. So schreibt mir anlässlich meines bevorstehenden Wechsels ins Pressehaus eine ehemalige Praktikantin, die heute als Journalistin und Buchautorin in den USA lebt, etwas Schönes: „Die Grundlagen, die ich damals gelernt habe, dienen mir noch heute, und ich hatte nie bessere Lehrmeister als das Team von der Filder-Zeitung. Danke!“

Von Montag, 1. August, an übernehmen Judith A. Sägesser und Rüdiger Ott die Verantwortung für die Filder-Zeitung. Beide haben hier bei uns das kleine Journalisten-Einmaleins gelernt.

In diesem Sinne sage ich, mit einem Augenzwinkern, Lebewohl und: Schreibt was Schönes!