Wenn die Internetleitung von einem Familienmitglied missbraucht worden ist, muss man dieses nicht verraten, sagt der Bundesgerichtshof. Der Europäische Gerichtshof sieht das nun anders.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es gibt Familien die wohnen vergleichsweise luxuriös, haben mehrere Toilettenschüsseln in ihrem Heim zur Verfügung, vielleicht sogar mehrere Badezimmer, mehrere Fernsehgeräte sowieso. Internetanschlüsse gibt es zumeist nur einen, der wird geteilt. 70 Prozent der Internetanschlüsse in Deutschland seien Familienanschlüsse, sagt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die Entscheidung, die der Gerichtshof am Donnerstag zu Haftungsfragen bei eben solchen Anschlüssen getroffen hat, ist daher von nicht zu unterschätzender Relevanz. Und weil die Richter in Luxemburg einen Teilbereich deutlich anders sehen als der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, ist das Urteil auch politisch interessant.

 

Hörbuch auf Tauschbörse angeboten

Der Sachverhalt ist vergleichsweise simpel. Der Verlag Bastei-Lübbe hatte gegen einen Mann geklagt, von dessen Anschluss aus ein Hörbuch anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten wurde. Der Inhaber sagt, dass sei er nicht gewesen – und dass auch seine Eltern Zugriff auf den Anschluss gehabt hätten. Das Münchner Landgericht zeigte Interesse daran, dem Verlag Recht zu geben – sah sich aber in der Rechtsprechung des BGH daran gehindert. Die Karlsruher hatten 2016 in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Familienmitglieder, salopp gesagt, nicht verpetzt werden müssen – und das mit dem besonderen Grundrechtsschutz begründet.

Gleichgewicht zwischen den Grundrechten

So nicht, hat nun der Europäische Gerichtshof gesagt. Es müsse ein ausgewogenes Gleichgewicht bestehen zwischen den Grundrechten – und der Verlag könne das Grundrecht auf geistiges Eigentum sowie das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf für sich reklamieren. Wenn da der Gegenüber nur „Familie“ rufen müsse, um aus der Haftung zu kommen, dann werde es ihm zu leicht gemacht. Ergo: die Familie haftet mit.

Gleichwohl verlangen die Europarichter nicht, dass alle familieninternen Details ausgeplaudert werden müssen. Spielraum bleibt, auch andere Möglichkeiten seien denkbar, um an die notwendigen Informationen zu kommen. Und ein wenig hat der BGH sein Familienprivileg auch schon eingeschränkt. Wissen Eltern, dass ihre Kinder den Anschluss missbraucht haben, dann müssen sie es auch sagen.