David Fincher hat den Megabestseller „Gone Girl“ von Gillian Flynn verfilmt. Das Resultat ist einer der Krimis des Jahrzehnts: eine radikale Demontage des bürgerlichen Glücks.

Stuttgart -

 

Das kann bei einer impulsiven Frau schon mal vorkommen: dass sie in einem Wutanfall etwas mit Karacho auf die Glasplatte eines kleinen Tisches wirft, dass die Platte zerspringt und die Aufgebrachte nun in einer neuerlichen Aufwallung den Tisch umwirft, als trage er selbst Schuld an seiner Zerbrechlichkeit und habe weitere Misshandlung verdient.

Das Szenario, das Nick Dunne (Ben Affleck) bei der Rückkehr von einem Stadtgang in seinem Haus vorfindet, ist also für sich allein noch kein Beweis für ein Verbrechen: der Tisch liegt umgestürzt und in Scherben. Aber wo ist Nicks Frau Amy (Rosamund Pike) geblieben? Das Haus steht leer, und ein verschlossener Brief mit Anweisungen für die erste Etappe einer Schnitzeljagd hat nichts mit dem aktuellen Verschwinden zu tun. Er sollte, so ist es die Gewohnheit der beiden, ein Spiel zu Nicks Geburtstag anstoßen.

Ein äußerst seltsamer Ehemann

David Finchers Bestsellerverfilmung „Gone Girl“mischt das Entsetzen über ein Verbrechen mit der Schwindel erregenden Ungewissheit, ob überhaupt ein Verbrechen geschehen ist. Gleich doppelt verliert der normale Bürger die Kontrolle über sein Leben. Zum einen hat er es nicht schützen können, zum anderen versteht er nicht einmal mehr das, was ihn unmittelbar betrifft. Wobei jene Zuschauer des Films, die Gillian Flynns Buchvorlage nicht kennen, noch eine weitere Ungewissheit erfasst, der Zweifel nämlich, ob der Zurückgebliebene wirklich nicht weiß, was los ist.

Denn Nick verhält sich äußerst seltsam. Einen besorgten Ehemann jedenfalls stellt man sich anders vor. Er ist mal freundlich, mal schnodderig cool, macht Konversation, lächelt, plaudert. Die Polizeibeamten, die mit bloßem Auge ein paar winzige Blutspuren finden und bei genauer Untersuchung bemerken, dass in der Küche eine große Blutlache aufgewischt worden ist, schätzen den Ehemann sehr unterschiedlich ein.

Ein Beamter hält Nick für einen fischigen Typen, der es zu nichts gebracht hat und sich nun per Abkassieren einer Lebensversicherung versorgen wolle. Die leitende Ermittlerin hat ihre Zweifel. Sie hält für möglich, was Nick beteuert, dass er nämlich durch eine strenge Erziehung konditioniert sei zu lächeln, wenn es ihm schlechtgehe, damit er niemandem die Stimmung vermiese.

Eine Freundin aus dem Nichts

Finchers Film ist eine Mischung aus Thrillerschraubstock und knochentrockener Satire und einer der Krimis des Jahrzehnts. Denn „Gone Girl“ schildert nicht nur anhand von Nicks Kommunikationsproblemen den Verfall früher halbwegs verbindlicher Ordnungen. Es gibt hier keine zwingende Etikette mehr, also ist jede Deutung von Sozialverhalten erlaubt. Es gibt keine Breitenwirkung der seriösen Presse mehr, weswegen der Fall zum Spielmaterial des Fernsehboulevards wird, was die Ermittlungen beeinflusst.

Auch die erzwungenen Rituale des Nachbarschaftslebens sind dahin, deswegen klaffen plötzlich große Lücken im sozialen Netz. Eine Frau aus dem Nobelviertel, die sich der Polizei als Zeugin andient, bezeichnet sich selbst als Amys beste Freundin, der Schlimmes über Nicks gewalttätiges Wesen anvertraut worden sei. Nick indes beteuert, er kenne diese Nachbarin kaum, eine Freundin von Amy sei sie gewiss nicht gewesen.

Während die polizeiliche Untersuchung zögerlich voranschreitet, bekommen wir Schnipsel aus Amys Tagebuch serviert, Bilder einer Ehe. Amy war einmal „Amazing Amy“, das Vorbild einer in den Geschichten und am Markt immens erfolgreichen Kinderbuchheldin und der Augenstern gespreizter New Yorker Eltern, also kein Mensch, dem der Umzug in Nicks heimisches Missouri leichtgefallen ist. Man kann Nicks Theorie, da inszeniere eine Unzufriedene ihr eigenes Verschwinden, um sich an ihm zu rächen, nicht gleich verwerfen.

Frauen als Teufel

Wie auch immer: der Film steht, wie einst „Fatal Attraction“ und „Basic Instinct“, einer bösen feministischen Lesart offen. Manipulative Frauen, erfundene Vergewaltigungen, psychopathische Machtspiele und mittendrin schutzlose Männer – hier werde, könnte man sagen, die Emanzipation verteufelt. Fragt sich nur, ob man Fincher unterstellen darf, er wolle am Einzelfall ein System erläutern.

Er baut seine gewohnt dunklen Bilder nicht als Marotte, sondern als Bekräftigung einer Aussage auf. In seinen Filmen wie „Seven“, „Fight Club“, „The Game“ und „Panic Room“ geht es um Gefangenschaften in Pflichten, Räumen und Wahnvorstellungen. In „Gone Girl“ geht es nun um all das auf einmal. Es ist die komplette Demontage des Traums von Ehe, Wohlstand, Konsum. Ihr braucht keine Finanzkrise, droht Fincher, ihr seid auch so kaputt.

Gone Girl. USA 2014. Regie: David Fincher. Mit Ben Affleck, Rosamund Pike, Kim Dickens, Tyler Perry. 150 Minuten. Ab 16 Jahren.