Tim Burton legt einen nur auf den ersten Blick ulkigen Film über Freaks und Mutanten vor. In Wirklichkeit geht es um eine aktuelle Generation, die den Mumm und den klaren Blick der Großeltern verloren hat.

Stuttgart - Was für eine öde, charakterlose Vorstadt das doch ist, durch die Jake (Asa Butterfield) da radelt. Der Jugendliche ist unterwegs zum Haus seines Großvaters, aber das Florida, das wir sehen, ist der müde Abklatsch der Werbeprospekte eines Rentnerparadieses: ein Wartesaal für Leute, die keine Erwartungen mehr haben. Hoppla, denkt man sich da bei „Die Insel der besonderen Kinder“, ist Tim Burtons Formtief immer noch nicht überwunden? Hat der Regisseur in „Beetlejuice“ (1988), in „Edward mit den Scherenhänden“ (1990) und auch im Puppentrickfilm „Corpse Bride“ (2005) die amerikanische Sehnsucht nach dem Eigenheim- und Nachbarschaftsidyll nicht viel frecher karikiert als hier – und die banalsten Orte doch wieder mit frischer Magie aufgeladen?

 

Nein, von Magie ist im Florida des neuen Films zunächst nichts zu spüren. Aber das ist kein Fehler, das ist Programm. „Die Insel der besonderen Kinder“ widerruft quasi die optimistische Magiemalerei der früheren Filme. Burton erzählt nun, dass in unseren Tagen das Magische, aber auch menschliche Größe und Fantasie verschwunden, dass Trostlosigkeit und Mittelmaß an ihre Stelle gerückt sind.

Der Großvater (Terence Stamp) ist aus anderem Holz geschnitzt, kann vom Zweiten Weltkrieg erzählen, aber auch vom Kampf gegen okkulte Ungeheuer. Jakes Vater mag davon nichts hören, aber der Junge trägt noch entfachbare Neugier in sich. Als sein Opa tot hinterm Haus gefunden wird, mit leeren Augenhöhlen, folgt für Jake der Übertritt in eine andere Dimension.

Überall haben Hüterinnen Zeitschleifen aufgebaut

Das ist in dieser Verfilmung eines All-Ages-Romans von Ransom Riggs unsere Welt von gestern, die Tage des Zweiten Weltkriegs in einem englischen Kaff am Meer. Besser gesagt: Es ist immer nur ein Tag, der in Endlosschleife läuft. Das Zentrum der Ereignisse bildet ein seltsames Waisenhaus. Die wunderliche Gouvernante Miss Peregrine hütet hier eigenartige Zöglinge – einen unsichtbaren Jungen etwa, ein Mädchen, das durch Handauflegen Materie entflammen lassen kann, und ein anderes Mädchen, das sehr schwere Schuhe braucht, um nicht davonzufliegen, weil es leichter ist als Luft. Was wir also vor uns haben, ist eine Unplugged-Variante der Mutantenschule von Professor Xavier aus dem „X-Men“-Franchise.

All diese vehement Besonderen könnten schon mit normalen Menschen nicht gut zusammenleben. Aber nun ist eine Bande Scheusale – Samuel L. Jackson spielt funkensprühend boshaft deren Anführer – auf der Jagd nach den Wunderkindern, will ihre Augen essen, um selbst mehr menschliche Gestalt zu gewinnen. Überall haben die Hüterinnen solcher Kinder Zeitschlaufen aufgebaut, als sicheren Hort gegen Überfälle. Doch überall werden diese Rückzugsräume nun zu Orten von Massakern.

Jeden Abend stellt Miss Peregrine die Uhr zurück

Jeden Abend fliegen deutsche Bomber das Waisenhaus an. Jeden Abend fliegt jene Bombe abwärts, deretwegen in Jakes Ursprungszeit nur noch eine Ruine steht. Aber wir sehen, wie Miss Peregrine jeden Abend eine Sekunde vor der Detonation die Uhr zurückstellt. Das ist nicht nur heiter, sondern steht auch für ein Gefangensein: Diese heroische Welt und die unsere haben keinen Anschluss mehr zueinander. Tim Burton hat einen Film über die „Greatest Generation“, wie die Amerikaner sagen, über die beste aller Generationen gedreht, der Steven Spielberg einst „Saving Private Ryan“ gewidmet hatte.

Auch wenn es im Kampf gegen die Finsterlinge herrliche Kapriolen gibt, etwa eine Huldigung an die Skelette von Trickmeister Ray Harryhausen aus „Jason und die Argonauten“, hebt Burton nicht aufs Popcornvergnügen ab. Er vergleicht eine Epoche, die sich ihren Monstern stellt, mit einer mauen Gegenwart der Ausflüchte, Kompromisse und Verblendungen. Ja, dieser Film voll bizarrer Geschöpfe will ein klein wenig deprimierend sein.

Die Insel der besonderen Kinder. USA 2016. Regie: Tim Burton. Mit Eva Green, Asa Butterfield, Samuel L. Jackson, Judi Dench, Allison Janney. 127 Minuten. Ab 12 Jahren.

Cinemaxx Mitte und SI, Gloria, Ufa, OF Corso