Rosis „Seefeuer“ ist ein Musterbeispiel dafür, dass Kamerablicke und Schnitte moralische Entscheidungen sind, dass Filmsprache Gesinnung bezeugt. Das bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären gekrönte Werk will den Opfern der Massenflucht jene Würde und jene Individualität zurückgeben, die in einer auf kühle Statistiken und kurze Entsetzensclips ausgerichteten Berichterstattung verloren gehen. So zeigt Rosi ein Flüchtlingsboot nach einer Weile zunächst nur von außen.

 

Auf Augenhöhe

Die ersten Geretteten zeigt er, als sie sicher sitzen, wenn auch in einem wild umgischteten Schlauchboot. Die Kamera ist auf Augenhöhe mit ihnen, buchstäblich im selben Boot, und wie die Geretteten von einer Plane umhüllt, durch die hindurch sie schlechte Sicht hat. Auch das ist eine moralische Entscheidung, eine Solidarisierung mit den Ausgelieferten, die so wieder von Objekten des souveränen Kinoblicks zu Subjekten des eigenen Schicksals werden.

Rosi wechselt weiter zwischen Bildern von Samuels Umwelt der Fischer und Seeigel-Taucher und Bildern der Flüchtlinge. An die wagt er sich näher heran, nachdem er sie als Individuen bestätigt hat. Am Ende zeigt er auch die Leichen der nie mehr irgendwo Ankommenden. Das sind dann im Kontext keine Bilder für die Gafflust mehr, sondern gegen das Wegschauen.

Momente der Menschlichkeit

Zwischen Szenen des Lampedusalebens und der Flüchtlingsnot bettet Rosi den Arzt Pietro Bartolo. Den sehen wir mal, wie er mit dem Ultraschallgerät geduldig eine schwangere Gerettete untersucht. Er versucht ihr, die weder Italienisch noch Englisch spricht, zu erklären, welches Geschlecht die Zwillinge haben, deren Echobild sich als seltsames Geschwisterlein der Suchbilder eines Schiffsradars auf seinem Monitor abzeichnet. Das ist ein Moment großer Menschlichkeit, so wie dieser andere, wenn Bartolo über seine vorgeschriebenen Untersuchungen an den Verstorbenen spricht und eine große Wut spürbar wird. Wenn eine ganze Menge jener Leute, die viel Zeit haben, auf Facebook Flüchtlingshass zu ventilieren, sich die zwei Stunden Zeit nähmen, „Seefeuer“ anzuschauen, würden wenigstens ein paar von ihnen hinterher gewiss die Löschtaste nutzen.

Seefeuer. Italien, Frankreich 2016. Regie: Gianfrancesco Rosi. Dokumentarfilm. 114 Minuten. Ab 12 Jahren.

Die Geretteten und die Toten

Rosis „Seefeuer“ ist ein Musterbeispiel dafür, dass Kamerablicke und Schnitte moralische Entscheidungen sind, dass Filmsprache Gesinnung bezeugt. Das bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären gekrönte Werk will den Opfern der Massenflucht jene Würde und jene Individualität zurückgeben, die in einer auf kühle Statistiken und kurze Entsetzensclips ausgerichteten Berichterstattung verloren gehen. So zeigt Rosi ein Flüchtlingsboot nach einer Weile zunächst nur von außen.

Auf Augenhöhe

Die ersten Geretteten zeigt er, als sie sicher sitzen, wenn auch in einem wild umgischteten Schlauchboot. Die Kamera ist auf Augenhöhe mit ihnen, buchstäblich im selben Boot, und wie die Geretteten von einer Plane umhüllt, durch die hindurch sie schlechte Sicht hat. Auch das ist eine moralische Entscheidung, eine Solidarisierung mit den Ausgelieferten, die so wieder von Objekten des souveränen Kinoblicks zu Subjekten des eigenen Schicksals werden.

Rosi wechselt weiter zwischen Bildern von Samuels Umwelt der Fischer und Seeigel-Taucher und Bildern der Flüchtlinge. An die wagt er sich näher heran, nachdem er sie als Individuen bestätigt hat. Am Ende zeigt er auch die Leichen der nie mehr irgendwo Ankommenden. Das sind dann im Kontext keine Bilder für die Gafflust mehr, sondern gegen das Wegschauen.

Momente der Menschlichkeit

Zwischen Szenen des Lampedusalebens und der Flüchtlingsnot bettet Rosi den Arzt Pietro Bartolo. Den sehen wir mal, wie er mit dem Ultraschallgerät geduldig eine schwangere Gerettete untersucht. Er versucht ihr, die weder Italienisch noch Englisch spricht, zu erklären, welches Geschlecht die Zwillinge haben, deren Echobild sich als seltsames Geschwisterlein der Suchbilder eines Schiffsradars auf seinem Monitor abzeichnet. Das ist ein Moment großer Menschlichkeit, so wie dieser andere, wenn Bartolo über seine vorgeschriebenen Untersuchungen an den Verstorbenen spricht und eine große Wut spürbar wird. Wenn eine ganze Menge jener Leute, die viel Zeit haben, auf Facebook Flüchtlingshass zu ventilieren, sich die zwei Stunden Zeit nähmen, „Seefeuer“ anzuschauen, würden wenigstens ein paar von ihnen hinterher gewiss die Löschtaste nutzen.

Seefeuer. Italien, Frankreich 2016. Regie: Gianfrancesco Rosi. Dokumentarfilm. 114 Minuten. Ab 12 Jahren.