Von Josef Hader ist man knurrige, schräge, satirische Rollen gewohnt. In Maria Schraders Regiearbeit „Vor der Morgenröte“ spielt er beeindruckend ernst und sensibel den Schriftsteller Stefan Zweig, der vor den Nazis flieht.

Stuttgart - Stefan Zweig könnte es sich leicht machen. Der meistgelesene deutschsprachige Autor seiner Zeit, Österreicher, Jude und Pazifist, vorm Faschismus geflohen, könnte beim P.E.N.-Kongresses in Buenos Aires 1936, wie ein Journalist von ihm fordert, „eine druckreife Verurteilung des Hitlerregimes“ liefern. Doch Zweig betont stattdessen, dass jede Widerstandsgeste, die kein Risiko in sich trage, nichts als Gefallsucht sei.

 

Wenn Zweig schon keine Heimat mehr hat, will er sich wenigstens seine Prinzipien bewahren, sich an etwas klammern, was seine Identität stabilisiert. Es wird ihn nicht retten. 1942 nimmt er sich im brasilianischen Petrópolis mit seiner zweiten Frau Lotte das Leben. Im Abschiedsbrief schreibt er: „Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“

Hineingeworfen ins Fremde

Regisseurin und Co-Autorin Maria Schrader , bislang eher als Schauspielerin bekannt, präsentiert eine Collage biografischer Fragmente, chronologisch gereihte Stationen von Zweigs Exilzeit in Südamerika mit Lotte (Aenne Schwarz), in New York bei seiner Exfrau Friederike (Barbara Sukowa). Ohne Ein- oder Überleitungen wird der Zuschauer hineingeworfen in diese Szenen, die fast ohne Schnitte und teils in Echtzeit gefilmt sind.

Dadurch braucht es immer wieder Zeit, bis sich der Kontext erschließt, manches bleibt unklar, dafür kommt man den handelnden Figuren sehr nahe. Vor allem Zweig, dessen Überforderung mit den ihn umgebenden neuen Sprachen und Orten man geradezu körperlich mitfühlt.

Haders gewisse Verlorenheit

Mit größter Sensibilität und Ernsthaftigkeit spielt der Österreicher Josef Hader einen Menschen, dem die Welt fremd geworden ist, der seine Bezugspunkte verloren hat und im Exil keine oder zu wenig neue findet. Wer Hader als Kabarettisten und Schauspieler kennt, der weiß, dass stets eine gewisse Verlorenheit seinen Blick kennzeichnet, dass ihm zudem jedes unnötige Pathos zuwider ist. Doch seine Figuren in „Indien“ oder den Wolf-Haas-Verfilmungen („Der Knochenmann“) sind fast rustikale Charaktere im Vergleich zu seiner Zweig-Interpretation.

Schon die formale Strenge der Inszenierung, die großen Schauspielerleistungen und die fantastische Ausstattung machen diesen Film zum Kunstwerk. Unaufdringlich schlägt er zudem die Brücke zu aktuellen Fluchtbewegungen und zeigt, was Heimatverlust für die Identität eines Menschen bedeuten kann.

Vor der Morgenröte. Deutschland, Frankreich, Österreich 2016. Regie: Maria Schrader. Mit Josef Hader, Barbara Sukowa. 117 Minuten. Ab 12 Jahren.