Im Alter von 73 Jahren ist der US-Filmregisseur Jonathan Demme gestorben. Er hat der Welt nicht nur den Konzertfilm „Stop Making Sense“ mit den Talking Heads und den Psychothriller „Das Schweigen der Lämmer“ mit Jodie Foster geschenkt. Sondern auch „Philadelphia“ – Filmkunst, die ein Wiedersehen lohnt.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Gerade hat Warren Beatty, der alte Hollywood-Haudegen, in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ behauptet, die wahre Qualität eines Filmes offenbare sich frühestens zehn Jahre nach seiner Premiere. Erst dann sei der Kopf des Betrachters frei vom Trommelfeuer der Werbekampagne, von der Thesenfindungssuche der Kritiker, vom assistierenden Klatsch- und Tratsch-Star-Rummel, frei auch vom Zeitgeschmack, der ja jede noch so rebellische Produktion notwendig grundiere (auch Protest ist ja Zeitgeschmack). Nach zehn Jahren sei all das nur noch Geschichte. Dann zeige sich, ob ein Film unabhängig von seinen Geburtswehen für sich stehe und wirklich etwas zu erzählen habe.

 

Am Mittwoch ist der amerikanische Regisseur Jonathan Demme im Alter von 73 Jahren gestorben. Wer in diesen Tagen für ein Wiedersehen ihm zu Ehren aus der privaten DVD-Sammlung beispielsweise „Philadelphia“ zieht, das Gerichtsdrama von 1993 um das Schicksal eines schwulen und an Aids erkrankten jungen Rechtsanwaltes, der wird Warren Beattys These sofort zustimmen. Um „Philadelphia“ gab es damals riesigen Debattenrummel: Christliche Gruppen protestierten vor Kinos, die den Film zeigten; konservative Politiker forderten einen besonderen Jugendschutz, um Kinder vor „gotteslästerlichen Gedanken“ zu bewahren; Homosexuelle wiederum fürchteten die öffentliche Stigmatisierung als notorisch Aids-Kranke. Die Kritiker hatten daher leichtes Spiel, Demmes Werk vor allem als Produkt einer ausgeklügelten PR-Strategie zu sehen, mit möglichst viel Skandal-Ramba Zamba die Kinoerlöse in die Höhe zu treiben.

Tom Hanks und Denzel Washington spielten die Hauptrollen, Bruce Springsteen komponierte

„Philadelphia“ ist inzwischen nicht nur zehn, sondern sogar 24 Jahre alt. Und womöglich erst jetzt, ohne das damalige Begleitfeuer, erkennt man beim Wiedersehen die immensen Qualitäten von Demmes Regie. Beispielsweise die Sorgfalt in der Differenzierung der beiden Hauptcharaktere: Tom Hanks ist in den ersten Szenen ein wirklich aalglatter Juppie-Karrierefritz, dem es der Zuschauer insgeheim sehr unangenehm gönnt, dass ihm das Schicksal mal kräftig eins auswischt: Na siehste – infiziert! Und Denzel Washington erfüllt zunächst alle Kriterien des publicitygeilen spießbürgerlichen Staranwalts, bevor er langsam, Schritt für Schritt erkennt, dass eine moderne Gesellschaft ohne Mitgefühl, Solidarität und Gerechtigkeit früher oder später zur sumpfigen Kloake wird, die nur darauf wartet, von noch schlimmeren Hass-Kräften oktroyiert zu werden.

Jonathan Demmes „Philadelphia“ ist über die Jahre ein Kunstwerk geworden, das eine Geschichte zu erzählen hat und Bilder von zeitloser Kraft bietet. Ganz so, wie ja auch der Titelsong von Bruce Springsteen, hört man ihn plötzlich im Radio, immer noch und an jedem Tag unserer Zeit ein kleines kostbares Memento mori zu stiften vermag. Wir vermuten, wenn wir in den nächsten Tagen „Stop Making Sense“ und „Das Schweigen der Lämmer“ wieder hervorholen, wird es ganz ähnlich sein: Wir werden beim Wiedersehen etwas neu sehen und lernen über die befreiend-anarchische Kraft des Pop und über das ganze Potenzial der ihre Autonomie erkämpfenden Frau. Jonathan Demme – ein Filmkünstler aus Hollywood.