Fünf Jahre lang hat die Stuttgarter Regisseurin Sigrid Klausmann ihre Mutter mit der Kamera begleitet. Entstanden ist ein Dokumentarfilm über die Liebe, die Vergänglichkeit und die kleinen Freuden in Zeiten von Hunger und Krieg.

Volontäre: Anna-Sophie Kächele (ask)

Aus dem Küchenradio schallt Johann Strauss Walzer „An der schönen, blauen Donau“, in kleinen Schritten bewegt sich Leonie Klausmann in Tanzhaltung durch ihre Küche. Der Blick in die Ferne gerichtet, mit den Gedanken in einer vergangenen Zeit, als sie mit ihrem Ehemann noch täglich Kreise zwischen der Küchentheke und dem Esstisch zog. „Jetzt ist er halt nicht mehr da. Jetzt muss ich allein tanzen.“

 

Die kleinen Rituale 

Sigrid Klausmann hält diese Szene mit ihrer kleinen Leica Kamera fest. Fünf Jahre lässt sie die Kamera immer wieder laufen, wenn ihre Mutter von ihrem Leben erzählt. Von ihrer Kindheit in Gütenbach im Schwarzwald, Hitlers Machtergreifung während ihrer Schulzeit und vor allem von ihrer großen Liebe Benedikt Klausmann, der 2011 verstorben ist. Sein Andenken hält sie in Ehren, indem sie die kleinen Rituale pflegt. Tänze durch die Küche und Backgammon Spiele, das im Schwarzwald „Brettle-Spiel“ heißt. Vor ihr ein Bild ihres Mannes, für den sie jetzt die Spielzüge übernimmt. „Ich denk an dich alle Tage. Vergiss mich nicht.“ 64 Jahre ihres Lebens teilte sie mit dem Schuhmacher, den sie 1946 auf einer Tanzveranstaltung kennenlernte.

Mit der kleinen Leica gedreht 

Dass die Familie diese persönlichen Szenen jetzt mit der Öffentlichkeit teilt, war so nicht geplant. Sigrid Klausmann überlegte schon länger, die Stimme ihrer Mutter für die nächsten Generationen zu bewahren. Als ihr Ehemann, der Schauspieler Walter Sittler, ihr eine kleine Leica Kamera schenkt, beginnt sie die Gespräche aufzuzeichnen. Leonie Klausmann lässt sich davon nicht beirren. „Meine Mutter hat immer gerne von früher erzählt. Sie war offen und neugierig und hatte keine Berührungsängste mit meiner Kamera“, erzählt Sigrid Klausmann.

„Am Ende lagen wir uns in den Armen und haben geweint“ 

Auf den Gedanken, dass der Film nicht nur für ihre Familie interessant sein könnte, bringt sie erst ihr Cutter, der das Filmmaterial schneidet. Sie schickt den Film an den Veranstalter von Filmfestspielen Adrian Kutter und seine Frau Helga Reichert. Die sind begeistert und möchten ihn auf den Biberacher Filmfestspielen zeigen. Sigrid Klausmann fährt nach Furtwangen, um ihrer Mutter den Film zu zeigen und sie um ihr Einverständnis zu fragen. „Dann haben wir nebeneinandergesessen und zusammen den Film angeschaut und meine Mutter hat nicht nur jedes Lied mitgesungen, sondern auch ihre eigenen Aussagen kommentiert. Sie war bewegt und am Ende lagen wir uns in den Armen und haben geweint“, erzählt Klausmann.

Liebesbriefe von Oberschwaben in den Schwarzwald  

Die Geschichten über ihr Leben und ihre Liebe erzählt Leonie Klausmann in diesen fünf Jahren nicht das erste Mal, aber es kommen Briefe zur Sprache, von denen ihre Familie bis dahin nichts ahnte. Briefe, die sich das Paar schickt, als Leonie kurz nach ihrem Kennenlernen in der Hungerzeit für ein Jahr auf einem Bauernhof arbeitet. 5. August 1946: „Immer mehr ziehen meine Gedanken zu meinem lieben Schwarzwaldbuben, und ich kann die Stunden nicht erwarten, wo ich dich, mein lieber Benny, mal wieder sehen werde.“

Ein Familienprojekt  

Im Film leiht Leonie Klausmanns Enkel Florian der Hauptfigur seine Stimme und liest einige der Briefe vor. Roland Klausmann, Sigrid Klausmanns Bruder, komponierte den Soundtrack, ihre Tochter Lea-Marie singt im Film das „Ännchen von Tharau“. Musik und Tanz, eine Leidenschaft, die Leonie und Benedikt Klausmann teilten und an ihre Kinder weitergaben. Die Szenen, in denen die Familie bei Geburtstagen gemeinsam singt oder Leonie Klausmann summend durch ihren Garten tanzt, ziehen sich durch den Film und zeichnen das Bild einer lebensfrohen, demütigen Frau.

Der letzte Abschnitt 

Leonie Klausmann ist 2021 gestorben, am Ende kümmerten sich eine Pflegerin und ihre Familie um sie. „Für mich war das eine wichtige Erfahrung, sie noch so lange begleiten zu dürfen, auch in einem Zustand, in dem sie nicht mehr stark war und wir ihr so etwas zurückgeben konnten“, erzählt Sigrid Klausmann. Der Film „Leonie und der Weg nach oben“ konserviert nicht nur die Geschichte einer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Er geht auch der Frage nach, wie das Leben weitergehen kann, wenn die große Liebe stirbt. So ist der Film ein persönliches Porträt und zugleich ein historisches Dokument.

Vorstellung im Atelier am Bollwerk 

Am Sonntag, 27. November, wird der Film um 11.30 Uhr im Atelier am Bollwerk in Stuttgart gezeigt. Sigrid Klausmann und ihr Mann Walter Sittler, der den Film produzierte, werden vor Ort sein und im Anschluss bei einem Filmgespräch Fragen beantworten.