Verstörende Antworten findet Louis Stiens auf die Frage, wie wir zusammenleben wollen. Dabei beginnt sein Tanz-Duett „In My Room“ für die Zuschauer recht gemütlich.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Selten war zuschauen im Theater so gemütlich. Ausgediente Daunendecken hat die Bühnenbildnerin Madeleine Stuckenbrock um den Kreis drapiert, in dem Louis Stiens mit Shaked Heller sein Duett „In My Room“ tanzen wird. Als es sich das Publikum im Theater tri-Bühne darauf bequem machen darf, liegen die beiden Tänzer schon bäuchlings auf dem harten Grund, den der weiche, weiße Sitzring umgibt.

 

Auf Einladung des Filmwinters hat sich Louis Stiens tänzerisch Fassbinders Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ genähert und erweitert das Stuttgarter Festival für „Expanded Media“ in die Welt der darstellende Kunst. Anlass der von Louis Stiens gewohnt intensiv umgesetzten Konfrontation ist nicht nur der 50. Geburtstag von Fassbinders Film, sondern auch sein Thema, das um die Frage des Zusammenlebens von Menschen kreist und damit gut zum diesjährigen Motto des Filmfestivals passt. „Together“ – wie wollen und können wir zusammenleben, lautet die Fragestellung.

Wie wollen wir leben: Mit-, neben- oder gegeneinander?

Die Antworten, die Louis Stiens im Dialog mit seinem Kollegen Shaked Heller findet, sind so verstörend, dass Zuschauen im Theater selten so ungemütlich war. Das liegt nicht nur daran, dass Momente intimer Nähe das Publikum zu Voyeuren macht und trotz der bequemen Unterlage in eine unbequeme Lage bringt. Im tänzerischen Erkunden von Miteinander, Nebeneinander oder Gegeneinander kommen auch aggressive Momente ins Spiel.

Wie reagiert das Außen auf Konflikte im Binnenverhältnis zweier Menschen? Einschreiten, wenn der eine den anderen zum Sitzmöbel degradiert, sich über ihn erhebt? Die Stimmen der Schauspielerinnen Josephine Köhler und Evgenia Dodina werfen Originalzitate aus Fassbinders Film ein, die Erniedrigung von Kants Sekretärin Marlene zum Beispiel. Weil die eine auf deutsch, die andere auf hebräisch liest, kommt ein weiterer Ball ins Spiel...

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Reduziert auf zwei Körper, geben die lediglich mit hautfarbenen Shorts bekleideten Tänzer ihrem Duett größtmögliche Offenheit. Mal ineinander verknotet, mal übereinander rollend, ist der Fluss ihrer Bewegungen höchst präzise, schnörkellos und von schonungsloser Intensität. „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern“ heißt es in Fassbinders Text. Der Tanz zeigt, wie schwierig eine solch bedingungslose Begegnung ist.

Info

Termine
Eine weitere Aufführung von „In My Room“ ist für den März geplant.