Den 26. November vor 75 Jahren werden viele Rotenberger nie vergessen. Am Morgen wurden 50 Schüler nach Obersteinach in Sicherheit geschickt, am Abend zerstörten Fliegerbomben 26 Rotenberger Häuser.

Rotenberg - Beim Blick auf den Kalender erinnerten sich vergangene Woche einige Rotenberger an zwei prägende Ereignisse vor exakt 75 Jahren: „Am 26. November 1943 wanderten 50 Rotenberger Grundschulkinder samt ihrem Lehrer Gottlieb Kill nach Obersteinach im Hohenlohischen aus“, sagt Hermann Berner. Der damals fünfjährige Hermann war noch nicht in der Schule. Er blieb in Rotenberg, für drei seiner Geschwister begann die Reise ins Ungewisse. „Unsere Eltern wussten nicht, wohin die Kinder verschickt wurden“, erinnert sich Berner. Über den Stuttgarter Hauptbahnhof führte die Reise ins Hohenlohische – nach Obersteinach. In der Gemeinde zwischen Kocher und Jagst und den umliegenden Orten kamen die „Stuttgarter Früchtle“ bis April 1945 bei Gastfamilien unter. „Die Gegend wurde für uns Rotenberger zum Inbegriff des Friedens. Waren es doch immerhin 18 Monate ohne Fliegeralarm und drohende Bombenangriffe“, sagt Hermann Berner, der im April 1944 als knapp Sechsjähriger auch noch nach Obersteinach geschickt wurde.

 

Erste ruhige Nacht

Zurück zum 26. November 1943: Während die Rotenberger Grundschüler mehr oder weniger ruhig ihre erste Nacht in den hohenlohischen Betten verbrachten, bangten die Daheimgebliebenen um ihr Leben. Alliierte Flieger deckten die Neckarvororte mit einem Bombenteppich ein. Untertürkheim und das Daimler-Werk waren ein Hauptziel, auch in Rotenberg richteten die Bomben verheerende Schäden an. „26 Häuser wurden teilweise komplett zerstört. In die Scheune eines Nachbargebäudes sind zwei Bomben gefallen. Das Haus drohte komplett abzubrennen. Dann wären die Menschen, die im Keller Schutz gesucht hatten, vermutlich ums Leben gekommen. Ich konnte die Bomben aber ins Freie werfen und half beim Löschen“, erinnert sich Heinz Berner an die Schreckensnacht. Hermann Berners Vetter, damals 13 Jahre alt, war auch noch in Rotenberg, half den Eltern im Weinberg. Er wurde kurze Zeit danach auch nach Obersteinach gebracht. „Hier fühlten wir uns sicher, menschlich geborgen im Kreise der Familien und Gasteltern“, so Hermann Berner. Obersteinach ist zur zweiten Heimat geworden, auch wenn die Umstände nicht einfach waren. Die älteren Rotenberger mussten täglich 14 Kilometer zur Schule laufen. „Im Winter bei Eis und Schnee. Unsere Socken und Schuhe haben wir danach über dem Schulofen getrocknet“, erinnert sich Heinz Berner.

Pflegefamilien wurden zu Ersatzeltern

Im Vormittagsunterricht lernten die Stuttgarter und Obersteinacher Schüler zwar getrennt, der Nachmittag gehörte aber den Gleichaltrigen und der Mithilfe in den Pflegefamilien, die zu Ersatzeltern wurden. Denn der Kontakt zu den eigenen Eltern war schwer, viele Väter waren im Krieg, Telefone selten, die Kriegsschäden fürchterlich und die Ängste um die Verwandten groß. Bei der zweiten großen Angriffswelle aufs Neckartal, am 2. März 1944, haben selbst im fernen Obersteinach die Fensterscheiben gewackelt. „Der Feuerschein über Heilbronn und Pforzheim war deutlich zu sehen“, erinnert sich Berner. Im April 1945, als dann die kriegerischen Handlungen auch ins Hohenlohische rückten, holten einige Rotenberger ihre Kinder in einer buchstäblichen Nacht- und Nebelaktion ins zerstörte Stuttgart zurück. Die Verbindung ins Hohenlohische blieb jedoch. Kurz nach dem Waffenstillstand blühte der Rotenberger-Obersteinacher Tauschhandel über die amerikanisch-französische Besatzungszonengrenze auf. Wein wurde gegen Mist zum Düngen, Stuttgarter Steckzwiebeln gegen Eier getauscht. Später machten die Rotenberger mehrfach einen Ausflug nach Obersteinach, der Männerchor trat bei Ortsfesten auf und regelmäßig hat Hermann Berner privat seine „zweite Heimat“, den Ortsvorsteher Walter Stepper und einstige Schulkameraden besucht. „Walter Stepper ist im Frühjahr gestorben, viele Gleichaltrige aus Obersteinach leben leider auch nicht mehr. Aber die Erinnerung und Dankbarkeit werden immer bleiben“, sagen die einstigen „Berner-Buben“.