Vor sechs Monaten ist Sajjad Kaabawi aus dem Irak geflüchtet – und wurde prompt U-21-Karate-Meister. Nun hofft der 19-Jährige auf einen Platz in der deutschen Nationalmannschaft.

Sindelfingen - Vier Medaillen sind die Ausbeute von Sajjad Kaabawi nach einem halben Jahr in Deutschland. In Dornhan wurde er U-21-Karate-Meister in der Gewichtsklasse bis 60 Kilogramm, wenige Wochen später Dritter der Herren bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt, um die wichtigsten Platzierungen zu nennen.

 

Zum Kämpfer wurde Sajjad Kaabawi im Alter von elf. Damals begann er mit dem Karatetraining in seiner Heimatstadt Basra im Süden des Iraks. Bereits zwei Jahre später wurde er das erste Mal Landesmeister in seiner Altersklasse. „Und dann jedes Jahr“, erzählt der heute 19-Jährige stolz. Im vergangenen Jahr wurde er ins irakische Nationalteam berufen. Im November reiste er mit seiner Mannschaft nach Bremen und bestritt mehrere Kämpfe.

Dass es dabei für den siegverwöhnten Kämpfer nicht zu einer Medaille reichte, lag auch daran, dass er noch anderes im Kopf hatte. Denn gleich nach seinem letzten Kampf seilte er sich ab und beantragte Asyl.

Im Irak musste er das Schießen trainieren

Krieg herrscht schon seit Jahren im Irak. Sajjad Kaabawi hatte sich damit arrangiert. Er lebte nur für seinen Sport, hatte durch seine Erfolge auch gewisse Privilegien. Doch dann entdeckte das Militär den jungen Mann. „Sie sagten, sie brauchen einen Kämpfer wie mich“, erzählt er. Man beorderte ihn zu einer Wehrübung. „Mit Uniform und Gesichtsmaske mussten wir Schießen üben.“ Nichts für Kaabawi. „Ich will nicht schießen und im Krieg kämpfen. Ich will studieren und Karate machen.“

Er fürchtete, dass man ihn mit Schlägen zum Kriegsdienst zwingen könnte, und beschloss, die nächste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Diese ergab sich dann im November bei der WM in Bremen. Über das Erstaufnahmelager in Meßstetten auf der Schwäbischen Alb kam er im Januar nach Böblingen. Dort teilt er sich mit drei anderen jungen Männern ein Zimmer im Flüchtlingsheim in der Sindelfinger Straße.

Zielstrebig führte ihn sein erster Weg in seiner neuen Heimat zur Karateabteilung des SV Böblingen. Dort erkannten die Verantwortlichen gleich beim ersten Training, dass sie einen Profi vor sich hatten und schickten ihn weiter zum MTV Ludwigsburg, wo es eine Leistungsgruppe gibt. Trainer ist Köksal Cakir, selbst 30-facher Deutscher Meister und ehemaliger Bundestrainer. Er nahm den jungen Iraker unter seine Fittiche. „Sajjad ist ein ganz großes Talent“, sagt der Trainer. Dreimal in der Woche fährt der junge Mann nun mit der S-Bahn nach Ludwigsburg. „Vor Wettkämpfen gibt es sogar täglich Training“, sagt Cakir.

Ein Vorbild für Gleichaltrige

Ehrgeizig ist Sajjad Kaabawi nicht nur im Sport. Im März meldete er sich bei der Gottlieb-Daimler-Schule in Sindelfingen. „Ich will Deutsch lernen.“ Eigentlich sind die Vorbereitungsklassen für Schüler ohne Deutschkenntnisse nur für Minderjährige. „Aber als zwei Schüler die Klasse verließen, konnten wir zwei über 18-Jährige aufnehmen“, sagt Manfred Haller, der Klassenlehrer. Beeindruckt war er vor allem davon, dass sich der junge Mann mit Hilfe des Online-Kanals Youtube schon einiges Deutsch beigebracht hatte.

Die Disziplin, die den Karatekämpfer auszeichnet, kommt ihm auch in der Schule zugute. „Er ist ein Vorbild für die anderen Schüler“, sagt seine Deutschlehrerin Pegah Azizpour. „Stets höflich und hilfsbereit. Und wenn er vor dem Rauchen warnt, wirkt das mehr, als wenn ich es tue.“ Im Irak hatte der junge Mann mit Abitur ein Sportstudium begonnen. In Deutschland will er nun eine Ausbildung machen, „vielleicht Kfz-Mechatroniker“, sagt Sajjad Kaabawi.

Ganz oben auf seiner Wunschliste steht aber ein anderes Ziel: „Ich möchte in die deutsche Karate-Nationalmannschaft.“ Das aber geht nur mit einem deutschen Pass. Sein Trainer Cakir mahnt zur Geduld. „Wir sollten das langsam angehen. Sajjad ist noch jung, kann noch viele Jahre kämpfen.“ Der Sport sei sehr wichtig für seinen Schützling. „Er gibt ihm Halt hier in Deutschland ohne Familie und Freunde.“ Aber noch wichtiger sei eine solide Ausbildung. „Von Karate kann man nicht leben“, sagt Cakir, der selbst Grundschullehrer ist. Und er verspricht: „Wir werden Sajjad auch beim Berufseinstieg unterstützen.“