Flüchtlinge werden zwischen Belarus und Polen von einem Grenzübertritt abgehalten und von Sicherheitskräften teils zurückgedrängt. Für die Geflüchteten ist es so kaum möglich, einen Asylantrag zu stellen. Kritiker halten das für rechtswidrig.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Berlin - Eine mehrere Meter hohe Barriere aus Stacheldraht zieht sich gerade an der Grenze zwischen Polen und Belarus rund um den Grenzort Kuznica. Mehrere Tausend Flüchtlinge warten auf der belarussischen Seite, übernachten dort bei eisiger Kälte, sind abgeschnitten von humanitärer Hilfe. Es soll auch bereits mehrere Todesfälle gegeben haben. Der Schritt von der einen Seite der Grenze zur anderen, er ist fast unmöglich. Wer es doch schafft, wird oft gleich wieder nach Belarus zurückgebracht, es erfolgt ein sogenannter Push-Back. Polen schottet sich ab. Einen Asylantrag zu stellen ist nicht möglich. Auch wenn sich die Lage mittlerweile beruhigt: Lässt sich das, was hier passiert, mit gängigem Recht überhaupt vereinbaren?

 

Polen versucht mit eigenen Gesetzen Asylrecht zu umgehen

Prinzipiell kann jeder Staat selbst entscheiden, in welcher Form er seine Grenze schützt. Polen hat das mit einem besonders strengen Gesetz versucht. Das Ausländerrecht wurde geändert, damit eingereiste Flüchtlinge besonders leicht abgeschoben werden können – Grenzschützer können laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland Menschen sofort nach einem Grenzübertritt zurückweisen. Aber: Die Genfer Flüchtlingskonvention sei ein „absolutes Schutzrecht“ und könne nicht von nationalen Gesetzen ausgehebelt werden, sagt Reinhard Marx, ein Frankfurter Anwalt für Asylrecht. Jeder einzelne Mensch müsse „die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen“.

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Niemand weiß, was mit Flüchtlingen in Belarus passiert

Es gibt aber Sonderfälle, in denen der Grenzschutz einen Flüchtling direkt wieder über die Grenze zurückschicken dürfte. Nämlich dann, wenn er keinen Asylantrag in Polen stellt. So schätzt es Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ein. Der Haken daran: Weil es mit Belarus kein Rücknahmeabkommen gibt, müssten die Personen dann in ihr Herkunftsland gebracht werden – im aktuellen Fall wäre das bei vielen etwa der Irak. „Dann müsste man auch sicherstellen, dass sie in dem Land sicher sind“, sagt Bossong. Ihnen darf dort keine Folter, keine schwere Menschenrechtsverletzung drohen. So schreibt es das Refoulement-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention vor.

Aber ist Belarus nicht ein sicheres Herkunftsland, wie Polen es immer wieder behauptet? „Es gibt keine zuverlässige Einschätzung, ob die Flüchtlinge in Belarus bleiben können oder in ihr Herkunftsland zurück geschoben werden“, sagt der Rechtsanwalt Marx. Es läuft also darauf hinaus: Polen muss die Situation der Menschen an seiner Grenze auf Schutzbedürftigkeit überprüfen.

Der Zaun löst für Polen keine Probleme

Von dieser Pflicht sei Polen auch nicht entbunden, wenn das Land Flüchtlinge von polnischem Staatsgebiet fernhält, schätzt ein Rechtsexperte, der anonym bleiben will. Denn aus dem Kontext sei klar, dass die Menschen an der Grenze Schutz suchten. Der Stacheldraht löst demnach für Polen, zumindest rechtlich gesehen, keine Probleme.

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Es gibt allerdings auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass einen sogenannten Push-Back im Nachhinein legalisiert hat. Bei dem Urteil handelte es sich um den Fall eines Flüchtlings aus Mali, der irregulär und unter Anwendung von Gewalt die Grenze zur spanischen Enklave Melilla überschritten hat, obwohl ein legaler Grenzübergang offen gewesen wäre. Ähnliche Situationen könnte es derzeit an der polnisch-belarussischen Grenze geben. Hunderte Menschen haben mittlerweile die Grenzbarrieren überwunden, am Dienstag kam es dabei auch zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und polnischen Sicherheitskräften, Polen setzte Wasserwerfer ein. Weil in Kuznica aber derzeit auch der reguläre Grenzübergang geschlossen ist, dürfte auch dieses rechtliche Schlupfloch nicht gelten.

Experte: Polen verstößt gegen EU-Recht

Auch wenn Belarus die katastrophale Situation für Flüchtlinge herbeigeführt hat, fällt die rechtliche Bilanz für Polen nicht gut aus. „Ich halte das für krass völkerrechtswidrig, was dort passiert“, sagt Anwalt Reinhard Marx. Hier werde nicht nur gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen, sondern auch gegen EU-Recht, sagt der namentlich nicht genannte Rechtsexperte. Geahndet wird das wohl nicht, denn dazu müsste erst ein Geflüchteter klagen. Und politisch wurde Polen von der EU und Deutschland für seinen Kurs lange unterstützt. Nur der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble forderte jetzt eine „humanitäre Lösung“ für die Flüchtlinge und plädierte dafür, sie vorläufig in die EU einreisen zu lassen.

Lage an Grenze entspannt sich

Grenzcamp
Zuletzt waren laut Schätzungen etwa 2000 Flüchtlinge bei Kuznica an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Belarus hat nach Angaben der polnischen Regierung nun begonnen, dort kampierende Flüchtlinge mit Bussen wegzubringen.

Rückflüge
Am Donnerstag soll auch ein Flug mit irakischen Migranten von Belarus aus in ihre Heimat starten. Die 170 Iraker haben sich laut dem Auswärtigen Amt freiwillig für eine Rückführung gemeldet.