Der Erste Landesbeamte im Waiblinger Landratsamt, Michael Kretzschmar, betont im Interview, dass die Gemeinde Kernen für die Anschlussunterbringung für Flüchtlinge mehr Plätze schaffen muss.

Fellbach - Für die Anschlussunterbringung für Flüchtlinge muss Kernen aus Sicht des Rems-Murr-Kreises deutlich mehr Plätze schaffen. Michael Kretzschmar, Erster Landesbeamter im Waiblinger Landratsamt, spricht im Interview über die Flüchtlingsunterkunft in der Kirchstraße 30, mögliche Alternativen und über die Verzögerungen bei den Projektplanungen.

 
Herr Kretzschmar, was verlangt das Baurechtsamt zur Flüchtlingsunterkunft in der Kirchstraße 30 von der Gemeinde Kernen?
Wir müssen an die Sicherheit der Bewohner denken. Daher brauchen wir für die weitere Nutzung als Anschlussunterbringung einen brandschutztechnischen Mindeststandard.
Warum ist in einer bestehenden Unterkunft überhaupt noch ein Bauantrag nötig?
Wir müssen wissen, was die Gemeinde konkret plant. Ein Bauantrag ist deshalb nötig, damit wir prüfen können, ob die geplanten Maßnahmen – zum Beispiel zum Brandschutz – ausreichen.
Michael Kretzschmar Foto: privat
Hat die Landkreisverwaltung selbst damals einen Bauantrag gestellt, bevor ihre Gemeinschaftsunterkunft bezogen wurde?
Nein. Die Unterkunft wurde im Dezember 2015 bezogen, also auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Um den Kreisen die Unterbringung der zahlreich zuziehenden Menschen überhaupt zu ermöglichen, hatte das Innenministerium damals per Erlass grundsätzlich den Bezug von Gemeinschaftsunterkünften ohne Baugenehmigung erlaubt.
Und was war damals mit dem Brandschutz?
Durch den Einsatz einer teuren Feuerwache wurde und wird bis heute trotz fehlender Baugenehmigung die Sicherheit der Bewohner gewährleistet, daher konnte eine eingeschränkte Duldung ausgesprochen werden. Die Gemeinschaftsunterkunft wurde von Seiten des Landkreises nie als idealer Standort betrachtet und wurde nur aufgrund des hohen Migrationsdruckes angemietet. Im Landratsamt war man sich immer einig, dass die Unterkunft zum frühestmöglichen Zeitpunkt geschlossen werden soll.
Warum war die Unterkunft für das Landratsamt bis jetzt dennoch gut genug und ist es für die Gemeinde Kernen nicht?
Die Kirchstraße 30 war in der Hochphase der Flüchtlingskrise als zeitlich befristete Unterkunft vertretbar. Damals war die Not so groß, dass wir pragmatisch handeln mussten und auch rechtlich grenzwertige Zustände akzeptiert haben, da wir keine Alternativen hatten. Heute sieht die Lage anders aus: Jetzt geht es darum, den Flüchtlingen Wohnraum in den Kommunen zu bieten. Für diese sogenannte Anschlussunterbringung gelten die ganz normalen Anforderungen der Landesbauordnung für Wohnraum in Hinblick auf Brandschutz und Brandsicherheit, da diese längerfristig angelegt sind. Dazu gehören zum Beispiel zwei voneinander unabhängige Fluchtwege. Bei den aktuell sinkenden Flüchtlingszahlen können wir es als Kreis nicht vertreten, eine Unterkunft ohne ausreichenden Brandschutz zu betreiben.
Jetzt sind es aber nur noch wenige Wochen bis zum Schließungszeitpunkt der Unterkunft in der Kirchstraße Ende November.
Seit Monaten war Kernen darüber informiert, welche baulichen Schritte notwendig sind, um die Unterkunft in der Kirchstraße als Anschlussunterbringung ab Dezember weiterführen zu können. Daher können wir als Kreis niemandem mehr zumuten, das Risiko zu tragen, dass Menschen hier zu Schaden kommen könnten.
Es fehlen doch nur fünf, sechs Monate, bis die ersten der seit 2015 geplanten Wohnungen für Geflüchtete und Menschen in Wohnungsnot aus dem Ort fertig sind. Haben die Genehmigungsverfahren beim Landratsamt für die Unterkünfte Dinkelstraße, Robert-Bosch-Straße, Beinsteiner Straße und Am Weihergraben die Bauvorhaben verzögert?
Drei Vorhaben wurden 2016 genehmigt, für den Weihergraben, liegt noch kein Bauantrag vor. Die Wohnungen in der Dinkelstraße wurden nach vier Monaten am 15. März 2016 genehmigt. Das Vorhaben in der Robert-Bosch-Straße wurde nach etwa zehn Monaten am 6. Oktober 2016 genehmigt. Die Wohnungen in der Beinsteiner Straße wurden nach sieben Monaten am 22. Juli 2016 genehmigt. Bei der Robert-Bosch-Straße mussten wir ein parallel laufendes Bebauungsplanverfahren abwarten. Bei der Beinsteiner Straße gab es Umplanungen des Bauherrn. Die Dauer der Verfahren beim Baurechtsamt lag völlig im Rahmen.
Hat Kernen aus Sicht des Landratsamts trotz dieser Bauvorhaben bei der Flüchtlingsunterbringung nicht genug gemacht?
Die Bürgermeister aus dem Rems-Murr-Kreis haben sich mit der Kreisverwaltung auf gemeinsame Regeln geeinigt, wie die Flüchtlinge auf die Gemeinden verteilt werden. Danach müsste Kernen bis Ende des Jahres weitere 119 Flüchtlinge in die Anschlussunterbringung aufnehmen. 2018 kommen nochmals rund 50 Personen hinzu. Dieses Jahr hat Kernen erst 22 Menschen in der Anschlussunterbringung aufgenommen. Viele andere Kommunen stehen hier deutlich besser da. Das bedeutet: Kernen muss über die Kirchstraße hinaus deutlich mehr Plätze schaffen. Die Plätze in der Kirchstraße – nach dem nötigen Umbau voraussichtlich 25 – können nur ein kleiner Teil der Bemühungen der Gemeinde sein. Mit den aktuell geplanten Vorhaben bringt die Gemeinde aus unserer Sicht nur die Hälfte der Flüchtlinge unter, die sie 2017 und 2018 aufnehmen müsste. Die Gemeinde Kernen muss daher ihre Bemühungen zur Unterbringung deutlich erhöhen.
Die ehrenamtlich Engagierten fühlen sich nun dennoch vor den Kopf gestoßen.
Das Engagement der Ehrenamtlichen ist uns sehr wichtig, wir rechnen unseren Bürgern diesen Einsatz sehr hoch an. Ohne die Ehrenamtlichen hätte die Betreuung der Geflüchteten in den vergangenen Jahren nicht funktioniert. Wir wollen auch keine Patenschaften auseinanderreißen. Das Landratsamt hat weiterhin großes Interesse daran, den Flüchtlingen, die bisher in Kernen gelebt haben, eine Unterbringung in der Gemeinde zu ermöglichen – auch aus Gründen der Integration.
Wie soll das jetzt noch gehen?
Hier bieten sich Container, die der Kreis eingelagert hat, als Übergangslösung an.
Ist hierzu auch ein Bauantrag nötig?
Ja, auch für Container – zum Beispiel solche, die der Landkreis eingelagert hat – braucht es einen Bauantrag. Allerdings sind solche Container schneller aufgebaut als Häuser. Sogar im Außenbereich könnten Container-Anlagen für drei Jahre befristet aufgestellt werden. Diese Lösung hat der Kreis der Gemeinde Kernen – wie anderen Kommunen – wiederholt angeboten.