Von Dienstag an gelten in Ungarn neue Notstandsgesetze. Sie erlauben das Abschieben der Flüchtlinge zurück nach Serbien. Belgrad ist in Sorge, zumal der Zustrom aus Mazedonien anhält. Derweil baut Ungarn seinen Grenzzaun weiter.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Ausgerechnet Sträflinge hatten den letzten Durchlass abzuriegeln. Von bewaffneter Polizei bewacht zogen Häftlinge am Wochenende Stacheldraht über den Bahndamm zwischen dem serbischen Grenzort Horgos und dem ungarischen Röszke. Durch die bisher 40 Meter breite Bresche in Ungarns Grenzzaun waren die Flüchtlinge noch relativ leicht über die Schengen-Grenze gelangt.

 

Schon seit Mitte August ist die Strecke für den Zugverkehr gesperrt. Ungarn will den Bahndamm nun mit einem verschließbaren Tor sichern, durch das später wieder die Züge zwischen Belgrad und Budapest verkehren sollen.   Das letzte offene Tor nach Ungarn ist damit zwar geschlossen, aber die Arbeiten an dem   Grenzzaun sind noch keineswegs beendet. Der Großteil des 175 Kilometer langen, aber eher durchlässigen Grenzwalls, ist bisher nur provisorisch mit Stacheldrahtrollen angelegt.

Notstandsgesetze treten in Kraft

Laut Angaben des Verteidigungsministeriums sind mittlerweile 4300 Soldaten abkommandiert, um die gesamte Grenze zu Serbien mit einem zweiten, vier Meter hohen Stacheldrahtzaun abzuriegeln.   Nicht nur die fortschreitende Selbstabgrenzung der Nachbarn, sondern auch Ungarns umstrittene, am Dienstag in Kraft tretende Notstandsgesetze werden im nahen Serbien mit Unbehagen  verfolgt. Mit den Gesetzen habe Budapest die Bedingungen geschafft, um Flüchtlinge in die Länder auszuweisen, von denen sie eingereist seien, sagt Aleksander Nikolic, Staatssekretär im serbischen Innenministerium.

Wegen der drohenden Massenabschiebungen sieht er Anlass zur Sorge: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir für die Rückführung von Flüchtlingen aus Ungarn bereit sind.“   Sollte der starke Andrang von aus Mazedonien einreisenden Flüchtlingen anhalten, deren Ausreise ins Stocken geraten und sich die Anzahl abgeschobener Migranten aus Ungarn vermehren, dürfte dem Transitland ein Rückstau drohen. Die Flüchtlinge könnten künftig „zehn Tage oder mehr“ im Land verbleiben, begründet Premier Aleksander Vucic die geplante Errichtung weiterer Aufnahmelager: „Wir müssen uns für den Winter vorbereiten.“  

Kroatien und Slowenien bereitet sich vor

Mittelfristig wird auch in Belgrad mit einer Änderung der bisherigen Route zur Umgehung von Ungarns Grenzzaun gerechnet: Sowohl Rumänien im Osten als auch Kroatien und Slowenien im Westen bereiten mittlerweile fieberhaft provisorische Aufnahmelager vor. Zunächst dürfte Ungarns verschärfter Kurs jedoch vor allem den Druck bei den Nachbarn vergrößern. Serbiens Öffentlichkeit reagiert derweil nicht nur auf die einseitige Selbstabgrenzung, sondern auch auf die Bilder des rüden Umgangs mit den Flüchtlingen bei den Nachbarn mit zunehmenden Unverständnis: Manche Serben fühlen sich dabei ungut an die ungarische Besatzung der Vojvodina im Zweiten Weltkriegs erinnert.

  „Ein schlechter Nachbar“ und „Faschist aus dem Herzen Europas“ überschrieb die führende Zeitung „Blic“ am Wochenende ein Bildnis von Ungarns Premier, dem sie die Worte „Schande, Orban“ als Hitler-Bärtchen unter die Nase montierte: „Der selbst ernannte Hüter Europas bedroht mit seinen miesen Methoden alles, was er angeblich verteidigt.“

  Diplomatischer drückt sich Serbiens Premier aus. Das Foto des serbischen Polizisten, der ein weinendes Flüchtlingskind tröstend in die Arme nahm, sei die „Vorderseite“, die Aufnahmen der ungarischen Kamerafrau, die Flüchtlingskinder trat, die „Kehrseite Europas“, so Vucic. Vor zwanzig Jahren seien Serben selbst auf der Flucht gewesen, erinnert er an die Jugoslawien-Kriege: „Vor uns stehen zahlreiche Probleme. Aber wir werden keine Mauern errichten, sondern Serbien wird seinen Teil der Verantwortung übernehmen.“