Die Grenzen sind so gut wie dicht. Es kommen kaum mehr Flüchtlinge in den EU-Mitgliedsländern an. Auch dies ist ein Grund dafür, dass kaum jemand in Brüssel den Deal mit der Türkei über die Flüchtlinge aufkündigen will.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Es war mühsam, ihn auszuhandeln. Seit April ist er in Kraft, und er funktioniert. Leidlich. Die Rede ist vom Pakt zwischen der EU und der Türkei über die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge. Es ist fast ein Ritual, immer wieder wird die EU-Kommission gefragt, ob der Pakt noch eine Zukunft habe. Und immer wieder heißt es dann, die EU halte an ihrer Vereinbarung mit der Türkei fest. Allen Widrigkeiten zum Trotz: Putschversuch, Säuberungen in den Tagen danach sowie Drohungen des türkischen Machthabers Recep Erdogan und seiner Mitarbeiter. So auch diesmal wieder. Eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärt, Brüssel stehe zu dem Türkei-Deal. Im Hinblick auf die Forderung des griechischen Migrationsministers Giannis Mouzalas nach einem „Plan B“ sagt sie: „Wir haben einen Plan A.“ Die Botschaft ist eindeutig, man brauche kein alternatives Szenario für den Fall, dass die Türkei sich nicht mehr an die Verabredungen hält. Und weiter sagte die Sprecherin, die Kommission setze sich mit ganzer Kraft für eine erfolgreiche Umsetzung des Deals ein.

 

Das Abkommen sieht vor, dass illegal nach Griechenland eingereiste Flüchtlinge von der Türkei zurück genommen werden und die EU bereit ist, im Gegenzug für jeden zurückgebrachten Zuwanderer einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling aus der Türkei aufzunehmen. Die Sprecherin weist darauf hin, dass der Deal nicht nur den Austausch im Verhältnis eins zu eins vorsieht. Seit 15 Monaten arbeite die Kommission auch eine umfassende Agenda in der Flüchtlingspolitik ab. Dazu gehören die Milliardenhilfen für die Türkei, um die humanitäre Lage der Flüchtlinge zu verbessern, sowie das Projekt zu einem gemeinsamen europäischen Küsten- und Grenzschutz. Über den Vorstoß des griechischen Ministers ist man in Brüssel verärgert. Hinter vorgehaltener Hand ist aus Kommissionskreisen zu hören, die griechische Regierung täte gut daran, auch ihren Teil des Deals zu erledigen und endlich dafür zu sorgen, dass die Berufungsinstanz bei Asylverfahren reibungslos arbeite und so der Weg frei wird für die schnelle Rückführung der Flüchtlinge in die Türkei.

Unterstützung für Kommission von Europapolitikern

Unterstützung kommt vom Außenpolitik-Experten der Union im Europaparlament, Elmar Brok. „Wer einen Plan B fordert lässt den Plan A sausen“, sagt Brok im Gespräch mit unserer Zeitung. Dafür fehle ihm jedes Verständnis. „Es kommen gerade einmal 50 Flüchtlinge am Tag in Griechenland an, im Oktober waren es noch 10 000 an einem Tag, warum soll das Abkommen jetzt von unserer Seite aufgekündigt werden?“ Brok weist zudem darauf hin, dass die EU sechs Milliarden Euro zugesagt habe, um die Lage der drei Millionen syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der Türkei zu verbessern. „Derjenige, der jetzt mit der Türkei brechen will, versündigt sich an den Menschen, die unter den barbarischen Folgen des Krieges leiden.“

Die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms, sieht die Lage der Flüchtlinge in der Türkei ähnlich. „Der Teil des Abkommens, der die Lebensbedingungen der Syrer in der Türkei verbessern will, darf nicht infrage gestellt werden“, sagt Harms gegenüber unserer Zeitung. Sie kenne persönlich Flüchtlinge, die in der Türkei geblieben wären, wenn etwa die Schulen für die Kinder besser wären. Kritik übt sie aber am zweiten Teil des Abkommens, der die Rückführung in die Türkei und anschließende Übersiedlung von Bürgerkriegsflüchtlingen in EU-Staaten vorsieht. „Dieser Teil hat nie richtig funktioniert.“ Schuld daran sei aber nicht die Türkei, sondern die Regierungen in den europäischen Hauptstädten. „Die EU-Länder ziehen nicht an einem Strang und können sich nicht auf zuverlässige Quoten für die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen einigen.“

Da ist etwas dran, wie der Streit zwischen EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU) und Tschechiens Präsident Milos Zeman belegt. Der Präsident, der allerdings nur repräsentative Aufgaben hat, hatte das Nationalparlament aufgerufen, EU-Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen zu ignorieren und keine Flüchtlinge zu akzeptieren. Oettinger sagte dazu in einem Radiointerview: „Die Flüchtlingsquote ist mit großer Mehrheit beschlossen worden und ist europäisches Recht.“