Italiens Küstenwache rettet 768 Migranten von einem manövrierunfähigen Frachter. Derweil ist der Brand auf der Fähre Norman Atlantic noch immer nicht aufgeklärt.

Die 768 Flüchtlinge an Bord des Frachters Blue Sky M, die nach ihrer Adria-Odyssee an Silvester in Apulien gelandet sind, waren die letzten des Rekordjahres 2014 – jedenfalls so weit man bisher weiß. Damit sind in den letzten zwölf Monaten ziemlich genau 170 000 Menschen an den Küsten Italiens gelandet oder gestrandet; im bisherigen Spitzenjahr 2011, der Zeit des „Arabischen Frühlings“, waren es nur 62 692, also nicht einmal die Hälfte. Das sind die Zahlen des italienischen Innenministeriums. Das UN-Flüchtlingshilfswerk weiß von 3914 Asylsuchenden, die bei der Fahrt übers Mittelmeer gestorben sind; dazu kommt eine Menge an Personen, deren Schicksal niemand kennt.

 

Eine „gerade noch verhinderte Tragödie”. So nennt Italiens Küstenwache das Schicksal der Blu Sky M. Auf dem 86 Meter langen Frachter, der in Moldawien registriert ist, neun Tonnen Erdöl geladen hatte und sich offiziell auf einer Fahrt von der Türkei nach Rijeka in Kroatien befand, hatte jemand am 30. Dezember einen Notruf abgesetzt – in schwerer See und nicht weit von der Stelle entfernt, an dem am vergangenen Sonntag die Adriafähre Norman Atlantic in Brand geraten war. Die Tatsache des Notrufs aber ist neben der Rettung des manövrierunfähigen Schiffs durch die italienische Küstenwache eine der wenigen sicheren Informationen über die Ereignisse.

Kein Kapitän an Bord

Es heißt, die griechischen Behörden, in deren Hoheitsgebiet die Blue Sky M fuhr, hätten den Frachter inspiziert, „nichts Verdächtiges gefunden“ und sich nicht weiter um das Schiff gekümmert. Ob die Griechen aber nur Funkkontakt mit irgendeinem Kapitän aufgenommen haben oder tatsächlich an Bord gegangen sind, bleibt offen.

Einen Kapitän jedenfalls haben die Leute von der italienischen Küstenwache und der Marine später offenbar nicht auf dem Schiff aufgespürt. Sie wussten seit dem Notruf nur – gleichzeitig mit den Griechen – dass sich einige hundert Flüchtlinge an Bord befanden. Als der Frachter urplötzlich seine Richtung um 90 Grad änderte, Kurs auf die Südspitze Apuliens nahm und mit blockiertem Motor im Sturm an den Klippen zu zerschellen drohte, schickten die Italiener zwei Hubschrauber mit Rettungspersonal. Am Silvestermorgen gegen 3.30 Uhr hatten sie dann die Blue Sky M in den sicheren Hafen von Gallipoli gelotst.

Die Herkunft der Flüchtlinge ist unklar

Die Flüchtlinge, unter ihnen etwa 40 Kinder und 20 schwangere Frauen, wurden in Schulen untergebracht. Es geht ihnen den offiziellen Angaben nach gut, lediglich einige leichte Fälle von Unterkühlung seien festgestellt worden.

Die Flüchtlinge, deren Herkunft bislang unklar ist, sollen erzählt haben, die Mannschaft habe das Schiff im Stich gelassen. Vielleicht, so die Behörden, haben die Seeleute sich auch unter die Flüchtlinge gemischt, um nicht entdeckt und wegen Schleuserei verhaftet zu werden. Vier Syrer hat die Polizei tatsächlich inzwischen unter diesem Verdacht festgenommen.

Auch im Fall der Norman Atlantic gibt es noch viele Frage

Was der apulischen Staatsanwaltschaft verdächtig vorkommt: bei der Durchsuchung der Blue Sky M wurden einige schusssichere Westen gefunden. Wem sie gehörten, was ihr Sinn war, bleibt vorerst offen. Waffen wurden indes nicht entdeckt.

Auch bei der zweiten Schiffstragödie der vergangenen Woche, dem Brand auf der Adria-Fähre Norman Atlantic vom Sonntag, sind noch etliche Fragen offen. Die genaue Zahl der Opfer ist ebenso unklar wie das Schicksal der Vermissten. Die Passagierliste der griechischen Reederei Anek Lines war offenbar unvollständig. Die Geretteten wurden nicht registriert, Dutzende Menschen werden noch vermisst. Offiziell wird die Zahl der Toten mit elf angegeben. An Bord der ausgebrannten Fähre werden aber weitere Opfer vermutet.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung

Die Norman Atlantic gehört der italienischen Reederei Visemar und war von der griechischen Reederei Anek Lines für einen Monat gechartert worden, als Ersatz für eine andere Fähre, die derzeit gewartet wird. Die Geretteten erheben schwere Vorwürfe gegen die Besatzung. Es habe keinen Feueralarm und keinen Evakuierungsplan gegeben. Die Crew sei „verschwunden“, es habe „keinen Ansprechpartner“ gegeben, sagte eine Überlebende. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Kapitän und die Reederei wegen fahrlässiger Tötung.