Gerichte sind über den Umgang mit Flüchtlingen uneins. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellt sich nun dem Europäischen Gerichtshof entgegen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Mannheim - Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat drei Syrern den Flüchtlingsstatus aberkannt, die das Land verlassen hatten, um keinen Militärdienst leisten zu müssen. Die Oberverwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten vor wenigen Wochen in vergleichbaren Fällen ähnlich entschieden. Das Gericht in Berlin sieht die Sache gegenteilig. Die Uneinigkeit hätte eigentlich beendet sein sollen, nachdem sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im vergangenen November geäußert hatte.

 

Mehr als 30 000 Klagen pro Jahr

Am 19. November 2020 hatte der EuGH entschieden, dass einem syrischen Wehrdienstverweigerer, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatte, zu Unrecht lediglich der subsidiäre Schutz zuerkannt wurde. Ihm hätte stattdessen der Flüchtlingsschutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt werden müssen. Die Schutzform ist entscheidend für die Frage, wie lange der Flüchtling in Deutschland bleiben kann und welche Zukunftsperspektiven er hat. Der subsidiäre (nachgeordnete) Schutz bietet zum Beispiel deutlich schlechtere Perspektiven beim Familiennachzug.Aus diesem Grund erheben regelmäßig viele Betroffene Klagen gegen die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Ziel, den Aufenthaltsstatus zu verbessern und die Flüchtlingsanerkennung zu erhalten. Diese so genannten „Aufstockerklagen“ beschäftigen die Verwaltungsgerichte der Republik mehr als 30 000 Mal im Jahr. Im Rahmen dieser Klagen wurden verschiedene Gründe für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft vorgebracht. Vor dem EuGH ging es um den Fall, in dem junge Männer den Wehrdienst verweigerten.

Kriegsverbrechen sind an der Tagesordnung

Der EuGH hatte dabei eine Einschätzung zum Krieg in Syrien abgegeben. Dieser sei „gekennzeichnet durch die wiederholte und systematische Begehung von Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Armee unter Einsatz von Wehrpflichtigen“. Wehrpflichtige seien unabhängig vom Einsatzgebiet veranlasst worden, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen teilzunehmen. Wer versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, dem drohe Strafverfolgung, da eine Verweigerung des Dienstes gesetzlich nicht vorgesehen ist.Der VGH in Baden-Württemberg entschied nun, dass die vom EuGH formulierte „starke Vermutung“ einer politischen Verfolgung bei tatsächlich anzunehmender Militärdienstverweigerung „auf Grundlage aktueller Erkenntnismittel“ als widerlegt angesehen werden müsse“. Einfachen Wehrdienstleistern könne die Flüchtlingseigenschaft nur dann zuerkannt werden, wenn eine Einzelfallprüfung eine Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ergebe. Damit folgt die Begründung den Gerichten in Münster und Lüneburg.