Bundesverkehrsminister Ramsauer (CDU) beugt sich dem Druck aus dem Südwesten – der umstrittene Fluglärm-Staatsvertrag mit der Schweiz wird vorerst nicht ratifiziert.

Berlin - Der umstrittene Fluglärmstaatsvertrag mit der Schweiz wird vorerst nicht ratifiziert. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kündigte nach einem Treffen mit Kommunalpolitikern aus Südbaden, Vertretern von Bürgerinitiativen, Bundestagsabgeordneten sowie dem Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) an, dass er den Vertrag neu verhandeln will. Offene Fragen müssten rechtsverbindlich, zuverlässig und dauerhaft zwischen beiden Staaten geklärt werden, hieß es.

 

Ramsauer will diese Klärung über einen Zusatz oder ein Protokoll zum Staatsvertrag erreichen. Falls nötig, solle auch der Vertrag selbst geändert werden. Es sei beachtlich, dass Berlin zu den neuen Verhandlungen bereit sei, sagte Hermann nach der zweieinhalbstündigen Unterredung in Berlin.

„Das war ein wichtiger Schritt, aber noch kein Durchbruch“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung. „Der Ball liegt jetzt auf Seiten der Schweiz“, sagte er weiter. Er hatte den Protest der Parlamentarier aus dem Südwesten mit organisiert. Die 37 Unionsabgeordneten hatten Ramsauer ebenso wie die FDP-Landesgruppe gedroht, den Staatsvertrag scheitern zu lassen, wenn die gegenwärtige Fassung Bestand hätte.

„Der Sack ist wieder offen“

„Der Sack ist wieder offen“, sagte der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher (CDU). Bei der Anzahl der Flüge über deutsches Gebiet zum Flughafen Zürich, bei den Flugrouten, den Flughöhen sowie den Grenzabständen müssten Streitpunkte ausgeräumt werden. Ramsauers Einlenken sei ein „ganz wichtiger Verfahrensschritt“, erläuterte Bollacher. „Was am Ende dabei rauskommt, kann man nicht absehen. Das hängt an der Schweiz.“ Aus Verhandlungskreisen verlautete, Ramsauer halte an dem Plan fest, das Abkommen noch in dieser Legislaturperiode durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. Für die Ratifizierung hätte er dann noch wenig mehr als ein halbes Jahr Zeit, denn im Herbst 2013 wird ein neuer Bundestag gewählt.

Die alles entscheidende Frage ist nun, ob sich die Schweiz auf neue Gespräche einlassen will. Dazu sagte Ramsauer, dass auch Bern Interesse an einer Klärung der Rechtslage habe: „Die Schweiz kann sich nicht einfach auf einen eisernen Standpunkt zurückziehen.“ Ansonsten käme kein Kompromiss zustande, was für beide Seiten ein Schaden wäre. Ramsauer wollte sich nicht dazu äußern, ob er schon mit seiner Berner Kollegin Doris Leuthard über die Neuverhandlung gesprochen hat. Bern, sagte Minister Hermann, müsse erkennen, dass ein Vertrag nötig sei, der in der vom Fluglärm betroffenen Region Lasten mindere und nicht etwa verlagere. Neben Hermann begrüßten auch die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Edith Sitzmann, und der Grünen-Abgeordnete Siegfried Lehmann, Ramsauers Einlenken.

Der Landrat Tilmann Bollacher und sein Kollege aus Konstanz, Frank Hämmerle (CDU), betonten, dass sich Ramsauer offen für die Anliegen der Region gezeigt habe. „Das ist ein Durchbruch“, erklärte Hämmerle nach dem Treffen. „Die Türe ist jetzt wieder offen.“ Nun müsse man sehen, ob die Schweiz zu Nachverhandlungen bereit sei. Er nehme an, dass die Vorbereitungen dafür mit dem Land und der Region getroffen würden, sagte Hämmerle.

Es ist besser, sich Zeit zu lassen

Der Bürgermeister von Hohentengen (Kreis Waldshut), Martin Benz, kritisierte, dass Experten des Ministeriums Tatsachen angeführt hätten, die zum Teil entweder längst bekannt oder falsch gewesen seien. Aus Protest gegen die als einseitig kritisierten Aussagen hatten auch Vertreter der Bürgerinitiativen das Gespräch verlassen.

Die IHK Bodensee-Hochrhein, die sich im Namen von 20 deutschen und schweizerischen Wirtschaftsverbänden für die Ratifizierung ausgesprochen hat, hofft, dass das Abkommen verabschiedet werden kann. Es sei aber besser, sich Zeit zu lassen, „als das Ding vor die Wand zu fahren“, sagte der IHK-Geschäftsführer Claudius Marx.

In der Schweiz kommt Ramsauers Umdenken dagegen gar nicht gut an. Für eine Klärung sei man offen, erklärte das Schweizer Verkehrsministerium. Nachverhandlungen aber hält das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation für „nicht erforderlich“. Ganz ähnlich äußern sich eidgenössische Fluglärmgegner. „Eine Klärung gewisser Fragestellungen ist sicherlich angebracht, wenn der Staatsvertrag 20 Jahre halten soll“, erklärt der Präsident des Fluglärmforums Süd, Richard Hirt: „Aber einen Bedarf für Nachverhandlungen gibt es aus Schweizer Sicht nicht.“ Der im Juli ausgehandelte Vertrag war Anfang September von Ramsauer und der Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard unterzeichnet worden und hatte schon bald heftige Proteste ausgelöst. Bern wertet ihn so, dass er nicht nur ungefähr 85 000 Anflüge über deutsches Gebiet, sondern sogar bis zu 110 000 Flüge erlaubt. Gegenwärtig sind es rund 100 000 Anflüge.