Die Stadt Pazar, Heimatort seines Vaters, entzieht dem Grünen-Vorsitzenden nach dessen Eintreten für die Armenien-Resolution des Bundestags die Ehrenbürgerschaft. Doch Cem Özedemir reagiert gelassen.

Athen - Ob Cem Özdemir nach den Morddrohungen, die er in jüngster Zeit erhielt, überhaupt Lust hat, in die Türkei zu reisen, weiß man nicht. Als einem der Initiatoren der Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern trachten dem deutschen Politiker jetzt viele in der Heimat seiner Eltern nach dem Leben.

 

Nach Pazar, in den Heimatort seines Vaters, sollte der Grünen-Chef besser nicht fahren. Dort will man ihn nicht mehr sehen. Der Stadtrat von Pazar, das in der nordanatolischen Provinz Tokat liegt, hat dem deutschen Politiker die Ehrenbürgerschaft entzogen.

Die Entscheidung der Kommunalpolitiker sei in einer Sondersitzung des Stadtrats einstimmig gefasst worden, berichtete die Nachrichtenagentur DHA. „Der Umstand, dass die Person, die diese Resolution vorbereitet und auf die Tagesordnung gebracht hat, türkisch ist und aus Pazar stammt, macht uns besonders traurig“, zitierte die Nachrichtenagentur den Bürgermeister Serafettin Pervanlar.

Özdemirs Vater lebte in Pazar, bevor er 1961 nach Deutschland auswanderte und sich in einer Textilfabrik im Schwarzwald verdingte. Özdemirs Mutter kam 1964 als junge Lehrerin nach Deutschland und betrieb eine Änderungsschneiderei. Der 1965 in Bad Urach am Fuß der schwäbischen Alb geborene Özdemir war 1994 bei seiner Wahl in den Bundestag einer der ersten Abgeordneten mit türkischen Eltern.

Der Verlust der Ehrenbürgerschaft scheint Özdemir aber nicht besonders zu treffen. Er reagierte auf Twitter recht lapdiar. „#Pazar will mir eine Ehrenbürgerschaft entziehen, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Oops.“

In Özdemirs schwäbischer Geburtsstadt Bad Urach stößt das Vorhaben, dem Grünen-Chef die Ehrenbürgerschaft zu entziehen auf Unverständnis. „Das ist sehr bedauerlich“, sagt Bürgermeister Elmar Rebmann „zumal Özdemir ein ausgleichender Mensch ist, der sehr an seiner Heimat Türkei hängt, aber auch in Urach stark verwurzelt ist.“ Rebmann hält den türkischstämmigen Grünen-Politiker für einen Mann des Dialoges und des interreligiösen Ausgleichs, der nun ungerechterweise massiv beschimpft werde und sogar Morddrohungen erhalten habe. „Wir in Urach wissen, was wir an ihm haben“, lobte Rebmann, „wir sind froh, dass er die Verbindung zu unserer Stadt hält.“ Özdemir komme regelmäßig vorbei, um seine Mutter oder Freunde zu besuchen und beim traditionellen Schäferlauf sei er Stammgast.

Erdogan greift türkischstämmige Bundestagsabgeordnete an

Während Özdemir in Pazar in Ungnade gefallen ist, hat man dort nun die Leipziger CDU-Abgeordnete Bettina Kudla ins Herz geschlossen. Sie hatte als einzige gegen die Resolution gestimmt. Dafür bekommt sie die Ehrenbürgerschaft, beschloss der Stadtrat von Pazar. Ob Kudla die Auszeichnung annimmt, war zunächst unklar. „Noch liegt keine offizielle Anfrage vor“, gibt sich Kudla zurückhaltend, sie wolle so ein Angebot genau prüfen. „Ein Ehrenbürger sollte einen besonderen Bezug zu einer Stadt haben“, sagt Kudla, den habe sie zu Pazar bisher nicht.

In der Resolution des Bundestags werden die Armenierverfolgungen in den Jahren 1915 bis 1917 als Völkermord gewertet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach der Abstimmung insbesondere die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten, die der Entschließung zustimmten, scharf angegriffen: Sie hätten „unreines Blut“ und müssten sich Bluttests unterziehen, um zu klären, ob sie überhaupt Türken seien.

Der Chef der ultra-nationalistischen türkischen Oppositionspartei MHP, Devlet Bahceli, verteidigte jetzt den Umgang mit den Armeniern. Die seinerzeit angeordneten Deportationen seien eine „absolut korrekte Entscheidung“ gewesen, erklärte Bahceli vor seiner Parlamentsfraktion. „Man sollte unter den gleichen Voraussetzungen erneut so handeln“, unterstrich der Politiker. Die Umsiedlungen seien nötig gewesen, um den Staat zu schützen. „Die Zukunft unseres Volkers wäre in Gefahr geraten, wenn man damals nicht die Deportation der Armenier angeordnet hätte“, sagte Bahceli. Den christlichen Armeniern wurden damals Autonomiebestrebungen nachgesagt. Sie galten im Ersten Weltkrieg auch wegen ihrer Nähe zum Kriegsgegner Russland als „innere Feinde“ des Osmanenreichs.