China ist der wichtigste Hersteller von pharmazeutischen Wirkstoffen. Drohen durch das Coronavirus nun Versorgungsengpässe in Europa? Experten sehen keinen Grund zur Panik.

Peking - Den Chinaveteran Jörg Wuttke, 62, kann eigentlich nichts mehr so schnell erschüttern. Doch wenn der Mann mit den grau melierten Haaren, der seit 30 Jahren in Peking lebt, über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus spricht, dann reihen sich die Superlative nur so aneinander: Eine vergleichbare Situation wie derzeit habe er noch nicht erlebt, sagt der Präsident der Europäischen Handelskammer, die die Interessen von mehr als 1600 Unternehmen in China vertritt. Ob Hemden, Elektronikartikel oder Spielzeuge: Fast alle Produkte werden schließlich mit Einzelteilen aus China produziert. Die für Europa am spannendste Lieferkette sei jedoch die der Pharmaindustrie: „Fast alle Vorprodukte für Arzneimittel wie Antibiotika und Kopfschmerztabletten werden in China gefertigt“, sagt der gebürtige Heidelberger: „All das wird sich auch irgendwann in unseren Apotheken in Deutschland bemerkbar machen.“ Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob dies nur die Warnungen eines Wirtschaftslobbyisten sind oder ob Europa tatsächlich vor einer weiteren gesundheitlichen Krise steht.

 

Weltweit wichtigster Produzent aktiver pharmazeutischer Wirkstoffe

„China ist weltweit der wichtigste Produzent von aktiven pharmazeutischen Wirkstoffen, auch API genannt. Diese sind in jedem Arzneimittelprodukt enthalten“, sagt auch der Franzose Eric Bouteiller, der 17 Jahre in Peking ein internationales Pharmazieunternehmen geleitet hat und nun als Professor unterrichtet. Vor allem waren es Kostengründe, derentwegen die Pharmahersteller Teile ihrer Produktionen in billigere Länder ausgelagert haben – nach Indien und vor allem China.

Dort sind die Marktführer in den ostchinesischen Provinzen Jiangsu und Shandong angesiedelt, die vergleichsweise moderat vom Virus betroffen sind und deren Fabriken bereits in einigen Wochen wieder auf Normalniveau produzieren könnten. Doch auch die unter Quarantäne stehenden Provinz Hubei, auf die 67 000 der knapp 80 000 Infektionen Festlandchinas entfallen, ist für die heimische Pharmabranche von hoher Relevanz. Einer Umfrage des Branchenverbands der deutschen pharmazeutischen Industrie zufolge gibt es in Hubei für 136 Arzneimittel einen Wirkstoffhersteller. Es ist davon auszugehen, dass jene Hersteller bis auf absehbare Zeit nicht produzieren werden.

Corona-Krise ein Weckruf für Europa

Am Donnerstag hat nun die amerikanische Food and Drug Administration erstmals Engpässe bei einem Arzneimittel bekannt gegeben, ohne jedoch das Medikament zu benennen. Am selben Tag warnte Österreichs Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) in Brüssel: „Es kann nicht sein, dass wir abhängig sind von China im Bereich der Antibiotika.“ Die derzeitige Krise sei ein Weckruf für Europa, mehr auf Autonomie zu achten. Auch die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard von der Linken möchte eine deutschlandweite Initiative anstoßen, um die heimische Arzneimittelversorgung sicherzustellen.

Bislang jedoch stehen die warnenden Worte in keinem Bezug zur Realität: Von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände heißt es, es gebe derzeit durch die Corona-Infektion keine sich abzeichnenden Lieferengpässe.

Warnung vor Panikmache

Auch der Pharmaexperte und Chinakenner Bouteiller warnt eindringlich vor einer Panikmache. Zwar könnte es tatsächlich zu Nachschubproblemen von bisher nie da gewesenem Ausmaß kommen, doch: „Derzeit haben wir immer noch ausreichend Lagerbestände. In Frankreich etwa gibt es noch immer Aspirin-Vorräte für ein Jahr, wenn es drauf ankommt.“ Dass die Verkaufsregale in europäischen Apotheken bald leer stehen würden, sei bislang nicht abzusehen. „Natürlich wird es dauern, bis die chinesische Wirtschaft wieder anläuft. Noch reden wir aber von Wochen. Wirklich ernst wird es für die Arzneimittelproduktion erst, wenn wir einen Ausfall von einem halben Jahr haben sollten“, sagt Bouteiller.