Der Ex-Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen war beim Ausbruch der Finanzkrise vor zehn Jahren als Krisenmanager mittendrin. Der Banker sieht heute ein robusteres Finanzsystem, hätte in der Rückschau aber auch manches anders gemacht, sagt er im Interview.

Berlin - Jörg Asmussen war auf dem Höhepunkt der Krise Finanzstaatssekretär und später Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Heute ist er Europa-Chef der US-Bank Lazard. Er hält es für einen großen Fortschritt, dass die einst nationale Bankenaufsicht europaweit agiert. Es seien Lehren aus der Krise gezogen worden.

 

Herr Asmussen, Sie waren Finanzstaatssekretär, als die US-Bank Lehman am 15. September 2008 unterging. Haben Sie an diesem 15. September schon geahnt, welches Ausmaß die Krise annimmt?

Uns hat damals die Nachricht mitten in der Nacht zum 15. September 2008 erreicht. Wir verfolgten dann während des Tages gespannt, wie die Märkte reagierten. Das wahre Ausmaß der Entwicklung konnte man erst zwei Wochen später sehen: das totalen Einfrieren des Interbankenmarkts. Die Banken liehen sich untereinander kein Geld mehr.

In Deutschland herrschte kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman im Bundesfinanzministerium die Einschätzung vor, dass Europa von den Turbulenzen in den USA nicht erfasst wird. Wann merkten Sie den Irrtum?

Die globale Vernetzung der Banken war damals in ihrem Ausmaß so noch nicht bekannt und auch statistisch wenig erfasst. Kaum jemand hat sich vorstellen können, dass US-Immobilienkredite in den Bilanzen deutscher Landesbanken auftauchen. Es hat ungefähr zwei Wochen gedauert, bis die Schockstarre im Finanzsystem überall sichtbar wurde. Ende September war klar, dass es sich um eine Systemkrise handelt. Zu diesem Zeitpunkt geriet die Hypo Real Estate und ausländische Institute wie Dexia oder Fortis in Schwierigkeiten.

Das heißt, für die Bankenaufsicht war die Verbindung der Landesbanken zum US-Immobilienmarkt terra incognita?

Das war den Aufsehern nicht so bewusst wie heute. Aus heutiger Sicht mag das seltsam klingen, doch bis zur Finanzkrise gab es eine rein nationale Finanzaufsicht. Am Beispiel der insolventen Hypo Real Estate zeigte sich, dass das große Problem die irische Tochter Depfa war, die von den dortigen Behörden beaufsichtigt wurde. Logische Konsequenz aus der Krise war, eine europäische Bankenaufsicht zu schaffen. Die gab es damals schlicht nicht.

Heute wird oft behauptet, eine Krise wie 2008 könnte sich jederzeit wiederholen. Ist das Finanzsystem seither widerstandsfähiger geworden?

Das internationale Finanzsystem ist robuster geworden. Natürlich gibt es immer noch einiges zu tun – etwa im Bereich Schattenbanken, Steueroasen und Geldwäsche. Klar ist auch, dass es immer wieder Finanzkrisen geben wird. Der Herdentrieb gehört zum Menschen. Deshalb ist es so wichtig, das System als Ganzes stabiler zu machen. Wir müssen es schaffen, die Stoßdämpfer des Systems zu verbessern.

Was sind in der Rückschau die wichtigsten Entscheidungen gewesen, um sich gegen Krisen zu wappnen?

Wichtig ist, dass die Banken heute mehr Eigenkapital als früher ausweisen. Inzwischen gibt es auch globale Regeln, wie viel Liquidität Banken vorhalten müssen. Geschäfte außerhalb der Bilanz, die Treiber der US-Hypothekenkrise waren, sind weitgehend verboten. Ein großer Fortschritt ist, dass eine europäische Bankenaufsicht geschaffen wurde. Es gibt inzwischen auch einen Notfallmechanismus: Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM kann im Krisenfall auch Banken helfen. Schließlich wurde ein europäischer Abwicklungsmechanismus für Banken geschaffen. Wir haben inzwischen eine ganze Palette wirksamer Regeln und Institutionen.

Somit ist eine Menge passiert?

Die Wahrnehmung, wonach die Lehren aus der Krise nicht gezogen worden seien, halte ich nicht für richtig. Das widerlegt schon die Diskussion darüber, dass die Staaten zu viel reguliert hätten und die Regeln für Banken zu bürokratisch seien. Ich teile das nicht und würde die Regulierung nicht lockern. Der entscheidende Schritt ist für mich die Europäisierung der Vorschriften und der Aufsicht.

Die Bundesregierung denkt darüber nach, eine Art „Industriepolitik“ für deutsche Banken zu machen. Brauchen die deutschen Institute mehr Unterstützung der Politik?

In Deutschland ist von der Politik noch nie eine Bankenstrukturpolitik betrieben worden, und zwar unabhängig davon, wer regiert hat. Die drei Säulen mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken waren immer ein Tabu. Aus meiner Sicht sollte die Politik darüber nachdenken, wie sie in Europa Banken schafft, die im globalen Wettbewerb mit großen amerikanischen und chinesischen Banken bestehen können. Darauf ist die Realwirtschaft in Europa angewiesen.

Die US-Banken verdienen seit Jahren glänzend, während die deutschen Institute beim Ertrag weit hinterherhinken. War es ein Fehler, in der Krise nicht auf die zwangsweise Kapitalisierung der Banken durch den Staat bestanden zu haben, wie dies in den USA passierte?

Mit dem Wissen von heute wäre eine Zwangskapitalisierung der bessere Weg gewesen. Aus ordnungspolitischen Gründen ist das seinerzeit in Deutschland nicht gemacht worden. Die US-Regierung hat härter durchgegriffen. Heute muss man sagen, das war ein gutes Krisenmanagement. Es bestehen aber Unterschiede: Die US-Banken sind von einer Krisenwelle durch faule Kredite erfasst worden. Die europäischen Banken erlebten drei Schockwellen hintereinander: Erst die US-Hypothekenkrise, dann die europäische Staatsschuldenkrise und schließlich die Krise durch notleidende Kredite in südeuropäischen Ländern.

Die Gefahr, dass Spekulationsblasen platzen können, steigt mit der Dauer der extremen Niedrigzinspolitik. Was nutzen schärfere Bankenregulierungen, wenn die Notenbanken der Suche nach Risiken mit ihrer Niedrigzinspolitik Vorschub leisten?

Es ist bekannt, dass ich die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank im Grundsatz für richtig halte. Natürlich bleibt auch eine richtige Politik nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Die Folgen der Geldpolitik für die Finanzstabilität muss man im Auge behalten. Deshalb beginnt die EZB jetzt langsam mit dem Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik. Aus meiner Sicht hätte der Ausstieg etwas früher beginnen können.

Sie selbst sind für die US-Bank Lazard tätig. Vor zehn Jahren galten diese Institute für viele Menschen als Hort allen Übels. Haben Sie sich versöhnt?

Lazard ist keine Investmentbank im rechtlichen Sinne. Im Vordergrund steht für uns das Beratungsgeschäft. Meiner Mutter sage ich, wir sind so etwas wie McKinsey für Finanzen. Wir betreiben keinen eigenen Handel mit Aktien, Bonds oder Derivaten, sondern werden für unseren Rat bezahlt. Das war für mich einer der Gründe, zu Lazard zu gehen.