Unter dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman werden Regimekritikerinnen in bisher beispielloser Art und Weise gequält. Die gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Frauen sind gravierend.

Jeddah - Wie nie zuvor steht Mohammed bin Salman seit dem Staatsmord an Jamal Khashoggi im Kreuzfeuer internationaler Kritik. Jetzt werfen Amnesty International und Human Rights Watch dem saudischen Kronprinzen vor, prominente Frauenrechtlerinnen und ihre männlichen Mitstreiter im Gefängnis foltern und seelisch misshandeln zu lassen. Die vor sechs Monaten festgenommenen Aktivistinnen, die in der Haftanstalt Dhahban nahe der Hafenstadt Jeddah eingekerkert sind, seien mit Stromstößen traktiert und Kabeln geprügelt worden. Ihre maskierten Peiniger hätten sie zwangsweise umarmt oder geküsst sowie wochenlang in Isolierhaft gehalten – auch für Saudi-Arabien eine bisher beispiellose Quälerei von regimekritischen Frauen.

 

Eine weibliche Gefangene habe mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Andere könnten sich nicht mehr richtig auf den Beinen halten oder litten unter heftigem Zittern ihrer Hände, erklärte Amnesty. Mindestens ein Aktivist soll während des Verhörs an der Decke des Raums aufgehängt worden sein. „Ich war auch im Gefängnis, aber niemand hat mir so etwas angetan“, erklärte Manal al-Sharif, die heute in Australien lebt und im letzten Jahr ein Buch über ihren Kampf für Frauenrechte in Saudi-Arabien veröffentlichte. „Das ist eine schockierende Verschiebung.“

Amnesty sieht „empörende Menschenrechtsverletzungen“

Die Menschenrechtsorganisationen berufen sich bei ihren brisanten Vorwürfen auf mehrere Zeugenaussagen, die nach Angaben der „Washington Post“ aus dem Dhahban-Gefängnis sowie aus dem persönlichen Umfeld der Folteropfer stammen. „Nur wenige Wochen nach dem kaltblütigen Mord an Jamal Khashoggi zeigen diese schockierenden Berichte weitere empörende Menschenrechtsverletzungen der saudischen Regierung“, erklärte Lynn Maalouf, Amnesty-Direktorin für den Nahen Osten.

Mindestens vier Frauen und fünf Männer, die jahrelang gegen die systematische Diskriminierung von Frauen in Saudi-Arabien gekämpft haben, wurden im Mai verhaftet, vier Wochen vor dem Ende des königlichen Fahrverbots für Frauen. Zu dieser Gruppe gehören unter anderem die 29-jährige Loujain al-Hathloul, die zuvor von saudischen Agenten mit Gewalt aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zurückgeholt worden war, sowie die emeritierte Professorin der König-Saud-Universität und Mutter von fünf erwachsenen Kindern, Aziza al-Yousef. Vier weitere Aktivistinnen, eine von ihnen Samar Badawi, die Schwester des seit sechs Jahren inhaftierten Bloggers Raif Badawi, kamen im Juni und August hinter Gitter. Ein Twitter-Protest Kanadas, wo die Frau und die drei Kinder von Raif Badawi im Exil leben, löste auf Betreiben von Mohammed bin Salman ein diplomatisches Zerwürfnis zwischen Riyadh und Ottawa aus. Der kanadische Botschafter wurde ausgewiesen, der saudische Missionschef aus Kanada abgezogen.

Hetzkampagnen in den regierungstreuen Zeitungen

Alle verhafteten Frauenrechtlerinnen und ihre männlichen Unterstützer sollen vor einen der berüchtigten Terrorgerichtshöfe gestellt werden, wo ihnen Haftstrafen bis zu zwanzig Jahren drohen. Bisher jedoch gibt es keine einzige offizielle Anklageschrift. Dafür druckten regierungstreue Zeitungen in einer staatlich organisierten Schmutzkampagne ihre Fotos mit dem roten Stempel „Verräter“ quer über dem Gesicht. Editorials bezichtigten die Verfemten, unentschuldbare Verbrechen begangen zu haben und Agenten ausländischer Botschaften zu sein. „Wer immer das Heimatland für eine Handvoll Geld verscherbelt, hat keinen Platz unter uns“, hieß es in den landauf, landab gedruckten Hetzartikeln. Andere forderten kurzerhand, alle mit dem Schwert hinzurichten.

Die Botschaft des international stark unter Druck geratenen Kronprinzen an seine eigenen Landsleute daheim ist damit klar: Bürgerrechte in Saudi-Arabien werden von oben gewährt und nicht von unten erkämpft. Politischer Aktivismus und offene Reformdebatten sind tabu in der absolutistischen Monarchie auf der Arabischen Halbinsel. Denn das Thema Autofahren ist längst nicht das Einzige, was der weiblichen Bevölkerung auf den Nägeln brennt. Praktisch in allen Lebensbereichen haben Väter, Ehemänner, Onkel oder Söhne das Sagen. Zwar wurden einige wenige Bestimmungen des drakonischen Vormundschaftsrechts in letzter Zeit etwas gelockert. Doch nach wie vor dürfen Frauen ohne Einwilligung ihres männlichen Vormunds weder heiraten noch ein Studium beginnen, weder reisen noch einen Pass beantragen oder sich einem medizinischen Eingriff unterziehen.