Lewis Hamilton und Valtteri Bottas sorgen für den fünften Mercedes-Doppelsieg in Folge, während Sebastian Vettel und Ferrari den nächsten Rückschlag einstecken müssen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Barcelona - Solche Angestellten muss man einfach lieben. Dieter Zetsche erhielt von seinen Formel-1-Fahrern ein unbezahlbares Abschiedsgeschenk. Der Daimler-Vorstandschef, der beim Großen Preis von Spanien vor seinem Ausscheiden sein letztes Rennen als Konzernboss erlebte, wurde auf dem Podium von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas erst kräftig mit Schampus eingenässt und dann auf die Schultern genommen. Fünftes Saisonrennen, fünfter Mercedes-Doppelsieg – was kann es für einen Unternehmenslenker Schöneres geben? Wohl nichts. Nur Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hatte kurz ein flaues Gefühl im Magen, der Österreicher befürchtete, dass Hamilton und Bottas unter dem Gewicht des Konzernchefs zusammenbrechen könnten. „Ich war echt besorgt“, verriet Wolff später und schmunzelte. Zetsche kam wohlbehalten wieder auf dem Boden an.

 

Starkes Drehbuch

Es war ein Abschied für Zetsche als hätte seine Marketing-Abteilung das Drehbuch geschrieben. 2016 hatte der Daimler-Chef noch erleben müssen, wie sich Hamilton und Nico Rosberg gegenseitig ins Kiesbett bugsierten, nun durfte er einen überlegenen Doppelsieg feiern – womit zu rechnen war, nachdem die Silberpfeil-Piloten die Gegner im Qualifying um ein Motorsport-Lichtjahr von fast einer Sekunde distanziert hatten. In Barcelona raste Lewis Hamilton vor Valtteri Bottas über die Ziellinie und es wurde – man hat den Sketch-Klassiker „Dinner for one“ im Gedächtnis – die gleiche Prozedur abgespult wie in vier Großen Preisen zuvor: Der Sieger klettert auf seinen Mercedes, winkt ins Publikum und fällt den Mechanikern um den Hals, später bedankte sich Hamilton artig beim Team für „ein großartiges Auto“ sowie für „die tolle Arbeit“. Der Zweitplatzierte, diesmal Bottas, erklärte, warum er langsamer war als der Kollege. „Ich hatte Probleme mit der Kupplung am Start“, sagte der Finne, „weil ich deshalb hinter Lewis zurückgefallen bin, war das Rennen gelaufen.“

So der Grand Prix im Telegrammstil. Mercedes ist aktuell unter normalen Bedingungen fast unschlagbar, Wolff weist zwar ebenso regelmäßig wie eindringlich darauf hin, dass „sich das Kräfteverhältnis in der Formel 1 schnell ändern kann“, doch nachdem der Rennstall mit großem Einsatz und hoher Akribie den Rückstand vom Winter in einen Vorsprung im Frühling verwandelt hat, ist kaum zu erwarten, dass Ferrari oder Red Bull innerhalb von zwei Wochen die Hierarchie komplett über den Haufen werfen. Besonders die rote Scuderia muss sich zunächst mit sich selbst beschäftigen. Dass Red-Bull-Pilot Max Verstappen am Ende vor Sebastian Vettel und Charles Leclerc lag, dürfte die Ferraristi geärgert und den Rest der PS-Szene ein wenig gewundert haben.

In Sack und Asche

Vettel musste erneut in Sack und Asche vor die TV-Kameras treten. „Das war ein enttäuschendes Wochenende, ein großer Schritt zurück“, stöhnte der Heppenheimer, „wir wollten endlich schneller sein, das hat wieder nicht geklappt.“ Ferrari steckt im Teufelskreis: Nach den Wintertests glaubten sich die Roten im Vorteil, doch plötzlich lag Mercedes weiter vorn als angenommen. Nun müssen die Ingenieure in Maranello schneller entwickeln und dabei ein höheres Risiko eingehen, was zu Fehlentwicklungen führen kann; zudem suchen die Techniker noch immer nach der Ursache, warum die Reifen nicht optimal funktionieren und der Ferrari deshalb in den Kurven viel Zeit verliert. „Im Moment hat es keinen Sinn, auf die WM zu schauen. Wir müssen von Rennen zu Rennen denken“, sagte Vettel, der bereits 48 Punkte Rückstand auf den neuen WM-Primus Lewis Hamilton aufweist.

Ferrari mag schwächeln, dennoch lässt Mercedes-Teamchef Wolff es nicht zu, an den sechsten Doppelsieg, geschweige den sechsten WM-Titel in Folge zu denken. „Wir bleiben auf dem Boden“, betont er in der Medienrunde nach dem Rennen. Dort erscheint auch Dieter Zetsche, der sich in einer kurzen Rede bei einem „unglaublichen Team“ bedankt: „Es hat mir stets Freude gemacht, bei der Formel 1 zu sein.“ Einen wunderbaren Abschied als Konzernchef haben ihm seine Angestellten jedenfalls beschert.