Das Hüpfen bremst den Silberpfeil seit Saisonbeginn und löste bei Lewis Hamilton in Baku heftige Rückenschmerzen aus. Doch das sogenannte Bouncing ist auch ein Sicherheitsrisiko.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Lewis Hamilton ist 37. Als er in Baku aus seinem Mercedes geklettert ist, hätte man meinen können, es sei jemand anderes, der in der Rennmontur des Rekordweltmeisters steckt. Ein Mann über 70 mit massiven Rückenproblemen. Unter Schmerzen quälte sich Hamilton aus dem Silberpfeil, der Rücken, der Kopf, so ziemlich jedes Körperteil tat dem Briten weh. „Ich habe es nur ins Ziel geschafft, weil ich auf die Zähne gebissen habe und mir das Adrenalin half“, sagte der Viertplatzierte des Großen Preises von Aserbaidschan und teilte danach auf Instagram mit: „Es sieht schlimm aus und fühlt sich 100-mal schlimmer an.“ Mercedes-Teamchef Toto Wolff wusste um die Leiden des jungen Lewis H. „Das ist ein bisschen wie eine Scheißkiste zu fahren. Sorry wegen deines Rückens. Wir werden das aussortieren“, funkte der Österreicher dem Geplagten ins Cockpit.

 

Man muss kein Medizinstudium absolviert haben, um die Diagnose für Hamiltons Schmerzen herzuleiten, eine Ausbildung zum Ingenieur tut’s gleichermaßen. Die Ursache: Bouncing. Es ist das permanente Hoppeln des Mercedes, was das neue Aerodynamik-Reglement mit sich brachte – und woran sich die Mercedes-Techniker die Zähne ausbeißen. Wolff hatte sich schlau gemacht und legte nach dem Rennen dar, dass es „angeblich bis zu 6 g sind, die auf den Fahrer wirken“. Also das Sechsfache des Körpergewichts schlägt auf Hamiltons Körper ein. „Das geht weit über den muskulären Zustand hinweg, es geht in die Wirbelsäule und Hüfte hinein“, dozierte Wolff, „darüber hinaus hat es auch eine Auswirkung auf den Kopf.“

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Doppeltes Dilemma für Mercedes. Erstens bremst dieses Hüpfen das Auto ein, so dass an den WM-Titel derzeit nicht zu denken ist, und zweitens greift es Leistungsfähigkeit sowie Gesundheit der Piloten an. Und damit wird das Hoppeln zum Sicherheitsrisiko in der Formel 1. „Es gab Momente, als ich nicht wusste, ob ich das Auto auf der Straße halte. Einige Male habe ich bei Höchstgeschwindigkeit fast die Kontrolle verloren. Der Kampf mit dem Auto war intensiv“, erzählte Hamilton.

Der Superstar scheint die größten Probleme zu haben, aber auch der Rest der Szene plagt sich nicht nur mit der Konkurrenz herum, sondern auch mit den Auswirkungen des Hoppelns. McLaren-Mann Daniel Ricciardo meinte, er fühle sich mittlerweile „wie ein Basketball“. Ferrari-Pilot Carlos Sainz sorgte sich ebenfalls um seine Gesundheit. „Wir sollten darüber nachdenken, welchen Preis ein Fahrer in seiner Karriere bezahlen muss“, sagte der Spanier, der wie sein Teamkollege Charles Leclerc in Baku wegen eines Defekts das Ziel nicht erreicht hatte – so war der Weg frei für den Red-Bull-Doppelsieg von Max Verstappen und Sergio Perez.

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Sebastian Vettel sieht den Automobil-Weltverband (Fia) in der Verantwortung. „Der eine oder andere Fahrer muss sich nach dem Rennen erst mal hinknien, wir müssen eine Lösung finden“, sagte der Heppenheimer, „natürlich kann man sagen: Ändert das Set-up. Aber wir sollten nicht uns in die Pflicht nehmen, sondern mit Regeln reagieren.“ Es könne ja nicht angehen, dass man vier Jahre abwarte, bis die nächste geplante Regeländerung anstehe. „Irgendwann knallt es“, warnte Vettel, „und wenn es richtig knallt, steht jeder da und sagt: Ja, wir haben ja schon vorher darüber gesprochen.“

Seit den Testfahrten vor dem Saisonstart lodert die Debatte über das Hoppeln, das seit der Regelneuerung auftritt, weil das Auto am Unterboden (wie vorgesehen) einen Unterdruck erzeugt. Laut einem Bericht des Magazins „Autosport“ konnten sich die Teams vor der Regelnovelle nicht auf technische Gegenmaßnahmen wie eine Mindestmaß an Bodenfreiheit einigen. Noch immer legen die Ingenieure die Autos möglichst tief, obwohl dies das Hoppeln fördert, weil die Boliden ansonsten an Leistung einbüßen würden.

Bislang verteidigte Wolff das Konzept des Mercedes W 13, der im Gegensatz zur Konkurrenz eine extrem schmale Taille aufweist. „Wir müssen uns anschauen, ob wir wirklich in die richtige Richtung unterwegs sind“, äußerte Hamilton Zweifel und stieß dabei beim Teamchef nicht auf Granit. „Wir schauen uns alle möglichen Lösungen an“, sagte der 52-Jährige, „es gibt keine heiligen Kühe. Wenn die Probleme nicht kurzfristig zu lösen sind, lösen wir sie über die nächsten Monate.“ Es könnte mit dem von Wolff versprochenen „Aussortieren“ womöglich noch dauern.

Übrigens: Nur einer der 20 Formel-1-Piloten klagt nicht über Schmerzen wegen des Hoppelns – es ist Fernando Alonso, was manche verwundern könnte: Der Spanier wird im Oktober bereits 41 Jahre alt.