Die Formel 1 führt bei drei Läufen ein 100-Kilometer-Rennen am Samstag ein. Die Teams lassen sich diese Zusatzschicht mit 100 000 Dollar versüßen – Begeisterung weckt das bislang nicht.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart/Portimao - „Das war ein Griff ins Klo.“ Niki Lauda war nie um eine klare Meinung verlegen. Die im Mai 2019 verstorbene Formel-1-Legende wetterte im März 2016 über einen gut gemeinten Versuch der Rennserie, das oft langatmige Qualifying aufzupeppen. In bestimmten Abständen sollte jeweils der langsamste Fahrer ausscheiden, bis es zum Duell um die Pole-Position käme. Doch es war wie beim Bau des Turms von Babylon – es herrschte die totale Konfusion. Piloten fuhren weiter, obwohl sie ausgeschieden waren, andere stoppten, obwohl sie noch fahren durften, und die Fans in Melbourne und an den TV-Geräten hatten spätestens nach fünf Minuten den Überblick verloren. „Das war der größte Fehler, der jemals gemacht wurde“, lautete Laudas Urteil als TV-Experte bei RTL. Schon bei Saisonrennen Nummer zwei in Bahrain galt: Versuch gescheitert, Qualifying wie gewöhnlich.

 

Je wilder, desto besser

Gut fünf Jahre sind vergangen, die schreckliche Erinnerung ist verblasst, und die Macher von damals rund um Oberboss Bernie Ecclestone drehen nicht mehr an den großen Rädern. Vor dem Großen Preis von Portugal an diesem Sonntag (16 Uhr) in Portimao wagen die Abgesandten von Rechteinhaber Liberty Media einen neuen Versuch, den Rennwochenenden mehr Abwechslung und mehr Spannung einzuhauchen – Stillstand ist Rückschritt, das gilt im Motorsport in ganz besonderem Maße. Die Formel 1 will keine Altfans verlieren, muss aber auch dringend die junge Generation von Autofreunden gewinnen, lediglich mit einer Social-Media-Offensive, mit E-Sport und einer F1-Doku auf Netflix funktioniert das nicht: Es muss vor allem auf der Strecke abgehen, je wilder, je häufiger, desto besser.

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Silverstone, Monza und São Paulo – drei Sprintrennen

Neu im Angebot sind deshalb drei Sprintrennen. In dieser Saison sollen drei Wettfahrten über 100 Kilometer jeweils samstags stattfinden, wohl in Silverstone, Monza und São Paulo, sozusagen als Aperitif für den Großen Preis – und der Zieleinlauf soll gleichzeitig die Startaufstellung für den WM-Lauf am Sonntag sein. Zudem erhalten die drei Erstplatzierten Punkte (3-2-1). Die Startplätze für den Sprint sollen bereits am Freitag ausgefahren werden, was diesen Tag für die Fans aufwertet, an dem üblicherweise nur Trainingsrunden auf dem Programm stehen. „Das Format muss sich im Verlauf dieser Saison erst einmal bewähren“, betont Ross Brawn, der Sportdirektor von Liberty, „eine der Herausforderungen war, ein Format zu finden, das die richtige Balance besitzt, sowohl spannende Freitage als auch spannende Samstage zu bieten.“ Alle zehn Rennställe vom Grand-Prix-Upgrade zu begeistern war ähnlich schwer, wie in Monaco zu überholen. Denn die Teams hatten Angst um ihre Autos, soll heißen: Jedes Rennen birgt das Risiko eines Unfalls, was mit lästigen Folgekosten verbunden ist.

Geld um Unfallschäden auszugleichen

Einige Mannschaften forderten für ihr Plazet ein finanzielles Entgegenkommen, und Liberty Media machte die nötigen Schritte. Offenbar erhält jeder Rennstall eine Sprintprämie über 100 000 Dollar (83 000 Euro), zudem dürfen weitere 50 000 Dollar (41 500 Euro) aus eigener Tasche ausgegeben werden, die nicht unters neue Budgetlimit von 120 Millionen Euro fallen. Sprints waren in der Saisonkalkulation der Teams nicht eingeplant. Bei Unfällen in einem Sprintrennen dürfen zusätzlich bis zu 200 000 Dollar (166 000 Euro) aufgewendet werden, um die Schäden zu reparieren. „Es ging darum, eine wirtschaftliche und logistische Lösung zu finden, die die Teams nicht zu stark beeinträchtigt“, begründete Brawn.

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Hört sich schön und gut und einleuchtend an, doch nicht jeder hat laut in die Hände geklatscht, als die Neuerung verkündet worden war. Gary Anderson hat seine Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. „Es gibt Situationen im Leben, da denkt man, dass die Welt verrückt geworden ist“, schrieb der Designer des ehemaligen Jordan-Teams in einem Beitrag für ein Motorsport-Magazin, schon der letzte Versuch, das Qualifying zu reformieren, sei „eine der dümmsten Ideen gewesen, diese neue liegt nicht weit dahinter.“ Anderson befürchtet, dass bei den Sprints die Risikobereitschaft der Piloten gering ist und sie mit Blick auf den Grand Prix im Zweifel den Fuß vom Gas nehmen – und dann gebe es die ungeliebten Prozessionsrennen, bei denen die Autos lediglich hintereinander herfahren.

Vettel sieht keinen Sinn im Sprint

Und die Fahrer? Sebastian Vettel ist kein Freund der Revolution im Kleinen. „Sprintrennen machen aus meiner Sicht keinen Sinn“, sagte der viermalige Weltmeister: „Wieso sollte man ein Vor-Finale zum eigentlichen Grand Prix einführen? Was soll das bringen?“

Mehr Show, mehr Spektakel und mehr Formel 1 vielleicht. Immerhin haben sich die Macher die Option offengehalten, den Versuch schnell wieder zu beenden; ganz wie 2016. Schade, dass wir die Meinung von Niki Lauda niemals erfahren.