Sebastian Vettel will im fünften Jahr bei Ferrari endlich Weltmeister in dem italienischen Auto werden. Leicht wird das für ihn nicht.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Bei der Pressekonferenz zum Saisonstart in Melbourne flachst Sebastian Vettel mit Daniel Ricciardo. Den Australier, der wie auch der Heppenheimer einer der eher lustigen Gesellen im Fahrerfeld ist, haben sie zwischen Vettel und seinen Rivalen Lewis Hamilton gesetzt. Doch so gelöst die Stimmung vor dem Auftakt nun einmal ist, hätten die australischen Organisatoren ihren Landsmann gar nicht als Puffer zwischen den Alphatieren platzieren müssen. Denn auch Hamilton kichert, als die zwei Spaßvögel der Branche herumalbern. Es geht im weitesten Sinn um Australien, Kängurus und Haie.

 

Einen Tag später fällt Sebastian Vettel dann allerdings die Kinnlade runter. Lag sein Ferrari bei den Testfahrten noch deutlich vorne, röchelt die rote Göttin im Training von Melbourne plötzlich fast eine Sekunde dem Silberpfeil von Hamilton hinterher. Alles nur Bluff? Tricksen die Mercedes-Jungs herum? „Ich kann spüren, dass ich das gleiche Auto wie bei den Testfahrten habe, aber es macht hier und da nicht das, was ich gerne hätte“, lautet Vettels Schnellanalyse. Das hat zur Folge, dass sich das ohnehin immer etwas weinerliche Italien nun die bange Frage stellt: Wieder nur Zweiter?

Was kann Lina?

Lina heißt der neue Ferrari SF 90 des Hessen, der seinen Autos in guter Tradition immer Frauennamen verpasst. Doch bedeutet diese Art der Personalisierung noch lange nicht, dass so ein Rennwagen dem Piloten auch zuhört und tut, was dieser sagt. Aber wenn Vettel in seinem fünften Jahr bei Ferrari etwas nicht gebrauchen kann, dann sind das unschöne Irritationen im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit – so wie im Freitagstraining. Er steht vor der Saison seines Lebens! Das Jahr 2019 ist das bedeutendste in seiner Karriere, es wird zukunftsweisend sein. Wird Vettel endlich Ferrari-Champion wie Michael Schumacher, sein Posterheld im Kinderzimmer? Oder wird er von dem hochveranlagten Ferrari-Kollegen Charles Leclerc in eine Phase des Vorruhestands katapultiert?

Alles oder nichts – darum geht es für Sebastian Vettel, so einfach ist das. Er wird den Kampf an mehreren Fronten annehmen, aber die Frage ist, ob er zäh bleibt. Der Deutsche ist bekannt dafür, dass er unter Druck Fehler macht wie den Ausrutscher auf feuchter Fahrbahn in Hockenheim 2018. Dieser „Bock“ leitete die Phase ein, in der auch der Ferrari-Mannschaft böse Patzer und Fehlentscheidungen unterliefen, die am Ende die WM kosteten. Vettel war jedoch Manns genug, der roten Truppe keine Vorwürfe zu machen, weil er das Motorsport-Prinzip, wonach gemeinsam gewonnen und gemeinsam verloren wird, als selbstverständlich betrachtet. Das ehrt ihn. „Ich tue nichts Gutes, wenn ich in so einem Moment auf das Team schimpfe“, sagt er.

„Der Zweite ist der erste Statist“

Doch hilft das dem ehrgeizigen Piloten nicht weiter, um sein großes Ziel zu verfolgen, denn er möchte wie die Ikonen Niki Lauda und Michael Schumacher Weltmeister im Ferrari werden – und sonst gar nichts! Vor allem will er nicht, dass die vergangenen, mühsamen vier Jahre in Maranello umsonst waren, denn ohne Titel wäre das Italien-Abenteuer einzustufen als etwas Unvollendetes. „Der Zweite ist der erste Statist“, erklärt der 31-Jährige und sagt damit schon alles über den Stellenwert seiner Vizemeisterschaft 2018. Solch eine Platzierung, er weiß es, die kann man knicken.

Für den angepeilten fünften Titel kann der viermalige Champion allerdings keine Kraft im Schoß der Familie tanken, denn die Nicht-Erfolge haben dazu geführt, dass in Maranello kein Stein auf dem anderen blieb. Kimi Räikkönen, der 2007 den letzten Ferrari-Titel gewann, haben sie wie zum Dank vor die Tür gesetzt – damit ist Vettel seinen besten Kumpel los. Für den 39 Jahre alten Finnen holten sie den Jungspund Leclerc, den die Formel-1-Szene in ihrer aufgeregten Art schon als Weltmeister von morgen feiert und der sich für einen Maranello-Neuling ungewöhnlich angriffslustig präsentiert. „Ich fahre nicht Ferrari, um Vierter zu werden“, sagt er.

So eine Ansage gilt im Formel-1-Geschäft, in dem sich die Jugend erst einmal unterzuordnen hat, fast schon respektlos, in jedem Fall aber aufmüpfig. Bevor Vettel also zum Angriff auf Hamilton blasen kann, muss er sich den quengelnden Nebenmann vom Hals halten und ihm klarmachen, wer der Boss ist. Gelingt ihm das nicht, könnte sich das Pendel in die andere Richtung bewegen. Dann unterstützen und lieben die Italiener, die zur Steigerung ihrer Motivation offenbar immer an jemanden glauben müssen, den flinken Monegassen Leclerc – und nicht mehr Vettel.

Arrivabene ist weg

Doch nicht nur das ist neu für den Deutschen. Wie Räikkönen musste auch der Teamchef Maurizio Arrivabene seine Sachen packen. Der ehemalige Malboro-Manager, der immer wirkte, als habe er vor seinen Auftritten im Fahrerlager einen Saloon im Wilden Westen verlassen, wurde ersetzt durch den Bürokraten Mattia Binotto. Der Ingenieur italienisch-schweizerischer Herkunft war zuvor zwei Jahre Technischer Direktor der Scuderia. Die Tatsache, dass er dieses Amt auch weiterhin ausführen wird und die Verantwortung als Teamchef noch hinzukommt, lässt befürchten, dass sich Binotto verzettelt. „Wir wollen ein neues Kapitel aufschlagen – die Moral ist hoch“, sagt Sebastian Vettel tapfer, glaubt an die rote Mannschaft und sieht die Veränderungen erst einmal positiv.

Wie und ob Binotto seinen Job hinbekommt, das wird auch ausschlaggebend sein für Vettels so wichtige Saison 2019. „Wenn ich wollte, könnte ich den Helm an den Nagel hängen, aber es ist noch etwas offen“, sagt er und macht unmissverständlich klar, dass er diesen verfluchten Ferrari-Titel endlich holen will. Sollte nämlich Hamilton seine sechste WM gewinnen, dann strebt er noch die siebte und die achte an – und hätte damit den Schumacher-Rekord geknackt. Sebastian Vettel wäre dann mit seinen vier Red-Bull-Titeln – und da kann die oberflächliche Interpretation der Statistik grauenhaft sein – nur halb so gut.

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