Vor 20 Jahren sind in Imola die Piloten Ayrton Senna und Roland Ratzenberger tödlich verunglückt. Noch heute ist unklar, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Auch der damalige Williams-Konstrukteur Adrian Newey kann sich keinen Reim darauf machen.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Imola - Die Befürchtung, dass die Formel 1 nicht mehr sicher ist, erhärtet sich bereits am 29. April 1994 im Fahrerlager der Rennserie. Beim Freitagstraining zum Großen Preis von San Marino in Imola donnert der Jordan von Rubens Barrichello in die Streckenbegrenzung, wirbelt sieben Meter durch die Luft und bleibt kopfüber liegen. Der Brasilianer bricht sich das Nasenbein.

 

Aber es geht weiter in Imola: einen Tag später geht im Qualifying der Frontflügel beim Simtek S941 des Österreichers Roland Ratzenberger kaputt. Ohne den nötigen Anpressdruck ist das Auto nicht mehr steuerbar, schlägt mit Tempo 300 in die Mauer ein und rutscht noch 200 Meter hinunter zur Tosa-Kurve. Ratzenbergers Kopf lehnt am Cockpitrand und bewegt sich nicht mehr. Genickbruch – alle Versuche scheitern, ihn wiederzubeleben. Er ist schon auf der Rennstrecke klinisch tot.

Senna war vor dem Start des Rennens alarmiert

Der Verlust des Österreichers macht die Formel-1-Gemeinde nachdenklich – vor allem Ayrton Senna. Als 34-jähriger Frontmann der Rennserie fühlt er sich verantwortlich für das große Ganze. „Gerhard, wir sollten uns nächste Woche treffen, wir müssen uns Vorschläge für mehr Sicherheit überlegen – ich habe da auch schon ein paar Ideen“, sagt der sensible Brasilianer zu seinem Fahrerkollegen und Freund Gerhard Berger am Morgen des Rennens. Nur einen Tag nach Ratzenbergers Tod. „Ayrton war wegen Roland alarmiert“, erinnert sich Berger im „Spiegel“ an das Gespräch.

Noch am selben Tag ist auch Senna tot. Dieses Wochenende des Schreckens von Imola endet am Abend des 1. Mai 1994 mit der Nachricht, dass die Formel 1 ihre Ikone verloren hat. Zwei Tote an einem Wochenende – das ist eine der größten Tragödien der PS-Branche. Ausgerechnet Senna, den sie den Magischen nennen, ausgerechnet dieser außergewöhnliche Rennfahrer und Mensch kommt um. „Als Senna starb, fiel die Sonne vom Himmel“, wird Berger später immer wieder sagen.

Hunderttausende Menschen nehmen von Senna Abschied

Wieso passiert es ihm, dem Begnadeten? In der siebten Runde kommt Sennas Williams in der schnellen Tamburello-Kurve von der Fahrbahn ab und schießt bremsend und ohne erkennbare Lenkkorrektur gegen die Begrenzungsmauer. Das rechte Vorderrad reißt ab und trifft den Helm des Piloten. Senna wird mit dem Hubschrauber nach Bologna ins Krankenhaus gebracht. Das Rennen geht weiter. Michael Schumacher gewinnt – während die Ärzte um das Leben des dreimaligen Weltmeisters kämpfen. Am Abend wird Ayrton Senna da Silva für tot erklärt.

In Brasilien bekommt der Nationalheld das, was man als Staatsbegräbnis bezeichnen könnte – eine gewaltigere Trauerfeier hat das Land noch nie erlebt. Hundertausende Menschen säumen die Straße, Gerhard Berger ist einer der Sargträger. Die Welt verfolgt den Trauerzug geschockt.

Die Unfallursache ist unklar – bis heute

Noch heute ist unklar, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Auch der damalige Williams-Konstrukteur Adrian Newey kann sich keinen Reim darauf machen. „Er kam zu Williams im Glauben, das beste Auto zu haben und stand immer noch mit null Punkten da. Unser Auto lag auch in Imola nicht sehr gut. Wir hatten Mühe, eine einigermaßen akzeptable Bodenfreiheit zu definieren. Ayrton klagte über Untersteuern und Übersteuern – die üblichen Symptome bei einem solchen Problem“, sagt Newey dem Fachmagazin „Auto, Motor, Sport“. Es könnte aber auch ein schleichender Plattfuß gewesen sein. Oder ein Problem mit der Lenksäule. Das ist nicht mehr zu klären.

Als der Formel-1-Pilot Martin Brundle die Bilder sieht, wie Senna in seinem zerfetzten Auto sitzt, denkt er sofort: „Es ist das letzte Zucken eines Rennfahrers.“ Bis heute kann er nicht verstehen, warum das Rennen nicht abgebrochen worden ist. Der Gedanke daran mache ihn noch nach 20 Jahren krank, sagt der Engländer. „Runde um Runde sind wir an dem riesigen Blutfleck auf dem Asphalt neben der Piste vorbeigefahren. Da sind zwei unserer Kollegen gestorben – und wir sind einfach so ein Rennen gefahren.“

Nach Senna und Ratzenberger ist kein Formel-1-Pilot mehr tödlich verunglückt, allerdings sterben noch zwei Streckenposten. Nach dem Todeswochenende von Imola steht die Sicherheit im Vordergrund: es gibt künftig Auslaufzonen, die Piloten sitzen in steinharten Karbongehäusen und die Räder sind mit Seilen festgemacht. Das alles kommt zu spät für die Familie Senna – und zu spät für die Familie Ratzenberger. Vater Rudolf sagt: „Roland ist vor 20 Jahren gestorben – aber er ist täglich bei uns.“